Melodie & Rhythmus

Zerlegt, zerhackt, zu Scheiben geformt

15.06.2021 14:52
»Die heilige Johanna der Schlachthöfe«, Frankfurt am Main, 1963 Foto: Picture-Alliance / DPA

»Die heilige Johanna der Schlachthöfe«, Frankfurt am Main, 1963
Foto: Picture-Alliance / DPA

Die Fleischindustrie strebt nach restloser Ausschlachtung von Tieren und Arbeitskräften – für Literaten eine Allegorie des Kapitalismus als totalitärer Ökonomie

Arnold Schölzel

Im Roman »Der Bauch von Paris«, den Émile Zola 1873 veröffentlichte, beschreibt der Autor das Schlachten von Tieren als unangenehmes, aber notwendiges Handwerk – Manufaktur. Auf dem Markt, an den ihr Fleisch geliefert wird, ist erkennbar, von welchem Tier und von welchem seiner Körperteile es stammt: »Sie sahen Pakete von Hammelfüßen abladen, die auf der Erde aufgehäuft werden gleich schmutzigen Pflastersteinen, die großen, starren Zungen, die den blutigen Riss der Kehle zeigten, die festen und losgelösten Ochsenherzen, die stummen Glocken glichen. Was sie ganz besonders erbeben machte, waren die großen, bluttriefenden Körbe voll Hammelköpfen mit ihren fetten Hörnern und dem schwarzen Maul, das frische Fleisch noch mit einem Fetzen wolliger Haut bedeckt.« Das ist, aus der Nähe betrachtet, eklig, der Blutgestank nicht wegzubringen, aber Zola malt ein Stillleben in Prosa, das er selbst »schauerlich schön« nennt. Tiere werden zwar in Serie, aber von einem Schlachter getötet, und es gibt jede Menge Abfall, der weggespült wird.

Gut 30 Jahre später spielen in Upton Sinclairs »Der Dschungel« von 1906 Details und Individuen keine Rolle. In den Fleischfabriken von Chicago gibt es 250 Meilen Eisenbahnschienen, auf denen jeden Tag rund 10.000 Rinder angerollt kommen, die gleiche Anzahl Schweine und halb so viele Schafe – das bedeutete, dass hier im Jahr acht bis zehn Millionen lebende Tiere zu Fleisch verarbeitet wurden. Ein Einweiser erläutert: »›Hier wird überhaupt nichts ungenutzt gelassen‹, sagte er, lachte und fügte ein Witzchen hinzu, von dem, wie er zu seiner Freude merkte, die anderen in ihrem schlichten Gemüt annahmen, es stamme von ihm: ›Vom Schwein bleibt absolut nichts unverwertet – bloß für das Quieken hat man noch keine Verwendung gefunden.‹«

Der Unterschied zwischen 1873 und 1906: Es war nun »Schlachten per Fließband, Schweinefleischgewinnung mittels angewandter Mathematik«. …

Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2021, erhältlich ab dem 18. Juni 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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