Jochen Busse, Rainer Basedow, Henning Venske, Renate Küster (v.l.) mit Programm »Altes oder Nichts« 1990
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Gegenwärtig erleben wir eine Regression der Objektivität und Qualität von Analyse und Kritik im Journalismus in einem in der Bundesrepublik bisher unbekannten Ausmaß. Als viel gerühmte »vierte Gewalt« ist die Medienöffentlichkeit weitgehend verschwunden. So schnell kann das gehen. Damit wachsen die Herausforderungen für die »fünfte Gewalt« – im Bereich Kunst und Kultur wohl die wichtigste und letzte politische Instanz in der bürgerlichen Gesellschaft, die massenwirksam Einspruch erheben kann: Satire und Kabarett haben besonders im deutschen Sprachraum eine große Tradition als kritisches Regulativ. Ihr beißender Humor, der so manche unbequeme Wahrheit auf vergnügliche Weise kundtut, wirkt wie ein Stachel im welken Fleisch des Spätkapitalismus.
Nicht zufällig haben die Hitlerfaschisten nach ihrer Machtübernahme Kabarett und Satire als Erstes im Bereich Kultur ausgeschaltet. Werner Finck, Mitgründer des Berliner Kabaretts Die Katakombe, das Ernst Busch, Hanns Eisler, Erich Kästner und vielen anderen kritischen Publizisten eine Bühne bot, wurde 1935 wegen »zersetzender Kritik« und »Kulturbolschewismus« sogar ins KZ gesperrt. In der BRD und Österreich störten literarische Entertainer und Lästerer wie Hanns Dieter Hüsch, Floh de Cologne, Georg Kreisler, Dietrich Kittner, Volker Pispers oder Anarcho-Spontis wie Wolfgang Neuss (»Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen!«) bei der Verdrängung deutscher Menschheitsverbrechen im Wirtschaftswunderrausch. Und sie verschonten auch nicht die neuen-alten Militaristen und Machtgelüste des deutschen Imperialismus, der sich an die Seite des vorläufigen Siegers der Geschichte geschlagen hatte. Herzerfrischend gehässig waren sogar die Programme der sozialdemokratischen Münchner Lach- und Schießgesellschaft von Sammy Drechsel und Dieter Hildebrandt, die deutsche Kabarettgeschichte geschrieben hat und nun nach 67 größtenteils erfolgreichen Jahren Existenz Insolvenz anmelden musste. Niveauvolle politische Kleinkunst ist nicht mehr gefragt in einer Zeit, in der nur noch peinliche Putin-Witzeerzähler-Olympiaden veranstaltet werden.
Der freilich vom marxistischen Standpunkt aus betrachtet oft zu moderate Spott der BRD-Kabarettisten und -Satiriker (weil er die Klassen- und Eigentumsfrage in der Regel aussparte), vor allem aber auch die Lacher des köstlich amüsierten Publikums – ein kollektives Aufbegehren gegen die Obrigkeit – provozierten damals immerhin nervöse Reaktionen der Herrschenden, die die doch recht eng gesteckten Grenzen von »Freedom and Democracy« in der westlichen Welt freilegten. Das – in den ersten Jahrzehnten der Bonner Republik noch von alten Nazis durchsetze – Establishment von Wirtschaft, Politik und Kultur schlug mit den »zivilisierten« Machtinstrumenten der bürgerlichen Demokratie immer wieder mit wutschäumenden Verrissen, Rauswürfen, Boykotten und, am wirksamsten, Entzug von Geldmitteln zurück. Aber die Künstler fanden meist Lücken im System, durch die sie schlüpfen und ihre Texte vor den Rotstiften allzu konformistischer Intendanten und Chefredakteure sicher in die Öffentlichkeit bringen konnten, wie der Kabarettist Henning Venske 2018 im Interview mit junge Welt berichtete.
»Ich denke, dass die Programme, die ich in den neun Jahren ab 1985 mit der Lach- und Schießgesellschaft gemacht habe, heute nicht mehr gesendet werden würden«, so Venskes Einschätzung, mit der er sicher goldrichtig lag. Heute wird »Kabarett« oder »Satire« genannt, was bestenfalls Comedy, Klamauk oder saudummer Witz ist, die nach volksgemeinschaftlichem Schenkelklopfen gegen den Fressfeind des im NATO-Block integrierten deutschen Imperialismus und gegen linke Oppositionelle heischen. »Man sagt heute nicht mehr ›Kommunist‹«, stellte Venske schon vier Jahre vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine fest, »man sagt ›Putin-Versteher‹. Dieses Etikett muss ja nicht stimmen, Hauptsache, es klingt diffamierend.«
Dass die »Heute Show« und ähnliche gegenwärtig als Krone der Schöpfung Satire gehandelte Formate genau nach diesem Motto agieren, hat die als Komik und Spaß camouflierte mediale Treibjagd gegen Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer in den vergangenen Wochen eindrücklich bewiesen. Kritisch war gar nichts daran, denn sonst hätten die »Satiriker« das »Manifest für Frieden« der Linke-Politikerin und der Emma-Publizistin wegen der fehlenden Forderung nach dem NATO-Austritt und anderer Inkonsequenzen hochgenommen – und Partei für die Friedensbewegung und ihre Kampagnen gegen die Rüstungsindustrie ergriffen. Wie das geht, hatte Titanic 1981, als sie noch eine Satirezeitschrift war, zur Hochzeit der Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss vorgemacht: In Anlehnung an die Hasstiraden von Militaristen gegen Kriegsgegner im Kaiserreich und Hitlerstaat zierte das Cover der Juni-Ausgabe mit dem Titel »Die neuen Staatsfeinde: Friedenshetzer« das Foto von einer Frau, die ein Schild mit der Aufschrift »Ich habe es mit einem Pazifisten getrieben!« trägt und von der Polizei abgeführt wird.
Satire soll »scharf treffen; belichten; vergegenwärtigen; – und Menschen beglücken: durch Wahrheitskraft; […] durch verschärfte Wiedergabe des Seienden. Durch Überlegenheit über den Dreck«, notierte der für seinen Sarkasmus berühmte Schriftsteller Alfred Kerr 1934. Was sich derzeit über Wagenknecht, ihre Mitstreiterin und alle Menschen, die an dem emanzipatorischen und humanistischen Friedensgedanken festhalten, ergießt, ist nichts anderes als dieser »Dreck« – das Gegenteil von Satire: von oben verordnete Hetze aus den niedrigsten Beweggründen der Rüstungsaktionäre. Da der Jux völlig ohne Argumente – sie haben keine – über die Bühne gehen muss, greifen die Kriegsstifter Oliver Welke, Christian Ehring et cetera Wagenknecht und Schwarzer vorwiegend als Frauen an und erzählen schmuddelige Herrenwitze. Die Reklame für Baerbocks »feministische« Bomben-und-Kanonenpolitik ist mit verdächtig vielen sexistischen Entgleisungen garniert.
Liebe Leserinnen und Leser, wir haben den M&R-Artikel, den wir für die Abonnenten unseres Newsletters produzieren und der in jeder Ausgabe enthalten ist, dieses Mal der Dokumentation dieses »Drecks« gewidmet. Unter dem Titel »Lachend in den dritten Weltkrieg …« wird Ihnen unser Autor Matthias Rude vor Augen führen, wie tief – nämlich unter die Gürtellinie – das Kulturestablishment der BRD gesunken ist und wie verblödet es mittlerweile ist: derart, dass es nicht einmal mehr die Ausrede von der »Schere im Kopf« benutzen kann. Denn, wie Henning Venske treffend bemerkte, dafür müsste es ja erstmal einen Kopf haben; die Gedankenfreiheit kann nur nutzen, wer Gedanken hat. Wir wollen Sie aber auch ermutigen, sich gegen diese Beleidigungen Ihres kritischen Verstandes zu wehren und Krauss-Maffeis Komödianten klarzumachen, dass ihr zynischer Spaß aufhören muss, damit intelligenter Humor endlich wieder anfangen kann. Denn, auch in diesem Punkt hat Henning Venske recht: Es hat noch nie Kabarett und Satire von rechts gegeben, die funktionieren – und das wird es auch nie geben.
Daher unterstützen Sie die mutigen ideologiekritischen Künstler, die Widerstand gegen die nekrophile Kriegstreiberei und die Todesprofiteure leisten, kaufen Sie sich Tickets und besuchen Sie die kleinen Kellertheater und Off-Bühnen, wo sie noch auftreten können – sie brauchen Ihre Solidarität und Ihren Applaus so dringend wie selten zuvor. Und bitte vergessen Sie eines nicht: Die Waffe der Kritik der Kabarettisten, Satiriker und anderer fortschrittlicher Künstler wiederum braucht genauso dringend ein Magazin. Daher greifen Sie uns bitte bei unserem noch andauernden Ringen um den Erhalt der M&R unter die Arme. Wir suchen noch immer qualifizierte Kollegen, um ein neues stabiles Redaktionskollektiv aufbauen zu können. Bewerben Sie sich, falls Sie Kulturjournalist mit Berufserfahrung sind. Und empfehlen Sie in jedem Fall die M&R und unseren Newsletter weiter, damit mehr Menschen diese Zeitschrift kennenlernen können.
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Susann Witt-Stahl
Chefredakteurin Melodie & Rhythmus
Kontakt: redaktion@melodieundrhythmus.com
Der Beitrag erschien am 28.03.2023 im M&R-Newsletter 2/2023. Den Newsletter können Sie kostenlos hier bestellen.