Weshalb der Verlag 8. Mai das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus einstellt
Leider müssen wir heute eine schmerzliche Niederlage eingestehen: Das Magazin für Gegenkultur Melodie & Rhythmus (M&R) kann nicht weiter erscheinen. Das hat verschiedene Gründe, sie sind aber vor allem in unserer Schwäche und in der der Linken insgesamt zu sehen.
Mit M&R will der Verlag 8. Mai ein journalistisches Produkt verfügbar machen, das andere (auch die eigene Tageszeitung) nicht oder nur schlecht machen können. Zeitung wie Zeitschrift fungieren dabei weder als Diener des politischen Personals der Herrschenden noch als Handlager der Kulturindustrie, sondern sind der Aufklärung verpflichtet. Beide sollen ihre spezifischen Stärken ausspielen. Und das alles unter kapitalistischen Produktionsbedingungen, worüber wir uns nie Illusionen gemacht haben. Seit Jahren können wir unter diesen Bedingungen bestehen, aber im Moment reicht die verfügbare Kraft nicht mehr aus.
Das liegt nicht an fehlenden ökonomischen Mitteln: Abobestände bei jW wie M&R entwickeln sich entgegen allen Trends gut, auch unsere Genossenschaft wächst. Aber die Redaktionen von Zeitung wie Zeitschrift können nur dann gute journalistische Arbeit leisten, wenn auch ausreichend handwerklich wie politisch erfahrene Kolleginnen und Kollegen dafür zur Verfügung stehen. Die junge Welt hat den Vorteil, dass bei 305 Ausgaben im Jahr auch unerfahrene Kräfte gut eingearbeitet und geschult werden können. Melodie & Rhythmus hingegen erscheint viermal im Jahr – da muss im wesentlich kleineren Team vom ersten Moment an alles funktionieren, wenn wir bei der Qualität des Produktes keine relevanten Abstriche akzeptieren wollen. So hat in den letzten Jahren ein zu kleines, aber gutes M&R-Team hervorragende Arbeit geleistet. Da diese Art von Produktion auf Verschleiß langfristig nicht durchzuhalten ist, haben wir zusätzliche Redaktionsstellen für M&R ausgeschrieben. Trotz intensiver Suche konnten wir niemanden mit der notwendigen journalistischen wie politischen Qualifikation und Erfahrung finden. Deshalb sehen wir uns gezwungen, Melodie & Rhythmus vorläufig auf Eis zu legen.
Die Entscheidung ist auch davon beeinflusst, dass die schon jetzt außerordentlich schwierigen Zeiten noch wesentlich problematischer werden: Tageszeitungen vernichten gerade die Grundlagen ihrer Existenz. Ihre Qualität wird schlechter, während Abo- und Einzelverkaufspreise dramatisch steigen. Viele flüchten sich in die Idee, dass mit einer rein digitalen Version das Geschäftsmodell Tageszeitung gerettet werden könnte. Die Folge ist ein Verfall der Infrastruktur für das Printprodukt, was für die junge Welt bedeutet, dass sie sich viel stärker als bisher um die Entwicklung ihrer Onlinepräsenz kümmern muss. Es kommt aber noch ein weiteres schwerwiegendes Problem hinzu: Wir müssen uns zur Zeit gegen massive Angriffe des Inlandsgeheimdienstes der Bundesrepublik Deutschland wehren! Der Verfassungsschutz versucht mit verschiedenen nachrichtendienstlichen Mitteln, dem Verlag »den Nährboden zu entziehen«, ihn also ökonomisch zu ruinieren, um seine politische »Wirkmächtigkeit« zu zerstören. So formulierte das die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Partei Die Linke ganz offen. Deshalb führt der Verlag einen Prozess gegen die Bundesrepublik Deutschland. Der kostet schon jetzt viel Kraft und wird noch durch mehrere Instanzen gehen.
Und trotzdem: Es liegt vor allem in unserer Verantwortung, dass wir eine progressive und gefragte Kulturzeitschrift vom Markt nehmen, weil wir nicht ausreichend qualifiziertes Personal finden. Aber dieses Problem muss nicht ewig unlösbar sein! Deshalb arbeiten wir weiter an den Voraussetzungen, um die Produktion wiederaufnehmen zu können. Denn an Ideen, Mut und Entschlossenheit unsererseits, aber vor allem an der Notwendigkeit eines Magazins für Gegenkultur fehlt es keineswegs. Allen, die uns auf dem bisherigen Weg an verschiedenen Stellen unterstützt haben, gilt unser herzlicher Dank.
Hintergrund: Eine kleine M&R-Geschichte
Melodie & Rhythmus erscheint seit 1957 in Berlin und war einer der beliebtesten Titel in der DDR. Das »Fachblatt für Tanz und Unterhaltungsmusik« erlebt nach dem Ende der DDR seinen eigenen Niedergang: Der Versuch, mit Pop und Trallala der Bravo Konkurrenz zu machen, führt 1991 zur Einstellung. 2004 wiederbelebt, sollen mit der Präsentation von Ostinterpreten Anzeigenkunden geworben werden. Der Versuch scheitert, auch nachdem der Berliner Heimatverlag (»Shop 24 Direct«) Titel und Geschäftsmodell übernommen hat. Seit Ende 2008 führt der Verlag 8. Mai GmbH die Zeitschrift.
Mit dem Heft 2/2010 erfolgt die erste starke Veränderung: Seither bietet jede Ausgabe einen inhaltlichen Schwerpunkt. Der prägt aber noch nicht die Titelseiten, weil dabei noch immer große Labels ein entscheidendes Wort mitreden. Mit Ausgabe 3/2014 folgt der Bruch: Den Heftschwerpunkt bestimmt seither die Titelseite, Susann Witt-Stahl leitet die Redaktion. Gemeinsam mit dem Verlag und dem M&R-Team entwickelt sie die Zeitschrift konsequent zum »Magazin für Gegenkultur« weiter. Ein in der Ausgabe 1/2019 veröffentlichtes »Manifest für Gegenkultur« findet international Beachtung.
Auch die M&R-Gestaltung fällt auf, etwa beim Branchenwettbewerb »Cover des Monats«. So erreichte der M&R-Titel 1/2022 den sechsten Platz – noch vor Stern und Spiegel. Christian Anhut, Executive Creative Director bei Saatchi and Saatchi: »Eindringliches Cover.« Wie das ganze Magazin. Deshalb darf es nicht dauerhaft vom Markt verschwinden. (dk)
aus: Tageszeitung junge Welt, 20.08.2022
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