Melodie & Rhythmus

Lachend in den dritten Weltkrieg?

27.03.2023 11:40

Wenn’s gegen die Friedensbewegung geht, kennt die Witzigkeit von Kabarett und Satire in Deutschland keine Gürtellinie mehr

 Screenshot »Heute Show«

 ZDF-»Satire« gegen Sahra Wagenknechts Friedensinitiative – Hauptsache schmutzig
Foto: Screenshot »Heute Show«

Matthias Rude

Kurt Tucholsky stellte in seinem viel zitierten Text »Was darf die Satire?« von 1919 fest: »Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine.« Was sich heute in Deutschland »Satire« nennt, hat mit den antimilitaristischen und sozialistischen Positionen des linken Publizisten meist nichts mehr gemein – ganz im Gegenteil: Bis auf wenige Ausnahmen flankieren Kabarettisten die »Zeitenwende« medial und erweisen sich als willfährige Helfer bei der Mobilmachung gegen alle, die es wagen, Kritik am bislang größten Aufrüstungsprogramm der Bundesrepublik zu üben.

Für Tim Wolff, Mitherausgeber des Magazins Titanic und Autor fürs »ZDF Magazin Royale«, ist Tucholsky »Schutzheiliger« der Satiriker. Doch nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sagte er, hinter der Frage, was Satire in Kriegszeiten dürfe, stehe die Annahme, dass Komik grundsätzlich etwas Zersetzendes habe – »und dann kann man sich entscheiden: Wollen wir jetzt, dass die Reihen geschlossen sind, und halten uns zurück?« Offensichtlich ja: Er rückte Putin in die Nähe von Hitler und zollte Selenskij Respekt; schließlich erweise sich hier ein Komiker als »kriegstauglich«. Auch für Jan Böhmermann ist der ukrainische Präsident ein Vorbild: »Ein Clown muss jetzt sein Land verteidigen und die Demokratie und die Freiheit in Europa am besten gleich mit.«

Dauerfeuer für Waffenlieferungen

Wolff meinte Anfang März 2022 immerhin noch, man dürfe nun nicht zu »Frontkomikern« werden und »Witze fürs Vaterland« machen – das fände er »trotz allem unangemessen«. Aber in den meisten Kabarett-, Satire- und Comedy-Formaten sind längst alle Dämme gebrochen: Wenn es um die Positionierung für immer mehr deutsche Waffenlieferungen geht, befindet sich etwa die »Heute Show« des ZDF voll auf Linie der neuen »Hoffnung der Rüstungsindustrie« (Der Spiegel) – der olivgrünen Regierungspartei. Überraschend kam das allerdings nicht: In der Sendung wird schon seit Jahren der Mythos von der »kaputtgesparten Bundeswehr« verbreitet – in Wahrheit stieg deren Budget von 32,5 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 46,9 Milliarden Euro im Jahr 2021 an. Die »Heute Show« trug auch eifrig zum mit misogynen Tönen unterlegten medialen Dauerfeuer gegen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bei, bis diese schließlich durch den Hardliner Boris Pistorius ersetzt werden konnte, um den Weg für die Lieferung von Kampfpanzern freizumachen.

Durch das Wiedererstarken des deutschen Militarismus erhalten geschichtsrevisionistische Positionen und die krude Hufeisentheorie neuen Auftrieb. Damit sollen Kriegsgegner diskreditiert werden, indem man sie in die rechte Ecke stellt. Besonders deutlich zeigen dies die »satirischen« Beiträge über das von der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer verfasste »Manifest für Frieden«, das mittlerweile von über 765.000 Menschen unterzeichnet wurde, und die Demonstration »Aufstand für Frieden« am 25. Februar 2023 in Berlin. Bereits im Vorfeld wurde tagelang Stimmung gegen die Veranstaltung gemacht, auf der Wagenknecht eine neue Friedensbewegung ausrief. Er freue sich »auf die unzähligen gemeinsamen Statements, Fotos und Videos von Wagenknecht-Linken, Schwarzer-Feminist:innen, strammen Neonazis und Holocaustleugnern von der Trotteldemo«, twitterte Jan Böhmermann. Im Rahmen des Politischen Aschermittwochs in Berlin bezeichnete der Kabarettist Florian Schroeder, nachdem er den obligatorischen Putin-Hitler-Vergleich getätigt hatte, Kriegsgegner als »Leute, die die nächste Querfront hervorbringen« und »heimliche Kriegstreiber«. Dafür, dass seine zehnminütigen Auslassungen von Buhrufen begleitet wurden, lieferte er später eine denkbar einfache Erklärung: Da müssten wohl »Querdenker« seinem Auftritt im Festsaal der Universität der Künste beigewohnt haben.

»Die Querfront bleibt aus«, musste die »Tagesschau« am Tag der Demonstration von Wagenknecht und Schwarzer zugeben. Für die »Heute Show« war das aber noch längst kein Grund, sich von diesem demagogischen Narrativ zu verabschieden. Reporter Fabian Köster war für »Deutschlands beliebteste Satireshow« vor Ort gewesen. Seine Anmoderation der Sendung am 3. März lautete: »Sahra Wagenknecht lädt zur großen Friedensdemo, und alle sind gekommen: Linke, Rechte, Verschwörungstheoretiker, Putin-Freunde, normale Leute, Schwaben.« Dazu wurde ein Kinderlied mit der Textzeile »Links und rechts, das ist oft schwer« eingespielt. Im Kölner Studio feierte Moderator Oliver Welke das einjährige »Jubiläum« der »Zeitenwende« und profilierte sich als Vertreter eines harten Kurses im Wirtschaftskrieg gegen Russland. Die russische Wirtschaft sei mit 0,3 Prozent am Wachsen und damit stärker als die deutsche Konjunktur. Warum? »Weil wir den Handel mit Drittstaaten nicht unterbinden können und weil unsere Sanktionen immer noch zu soft sind.«

»Nationalsozialistische Partei Deutschlands«

Schon am Tag zuvor hatte der Moderator des NDR-Satiremagazins »Extra 3« Christian Ehring von einer »Pro-Russland-Demo« gesprochen – und von einer »neuen Querfront«, mit der zusammenwachse, »was offenbar zusammengehört«. Putin sei wie Hitler – ein »blutrünstiger Diktator«, und »Moldau, Baltikum, Polen« seien »als Nächstes dran«. Am 1. März hatte die Publizistin Sarah Bosetti in ihrer ZDF-Kabarettsendung »Bosetti will reden!« enthüllt, was die Friedensbewegung »wirklich« wolle: Außer »Putin zu huldigen, die Vergewaltigungen, die russische Soldaten an ukrainischen Mädchen und Frauen begehen, kleinzureden und mit Rechten zu demonstrieren«, sei ihr Ziel »die Zerstörung der Ukraine«. Die Demonstrationsteilnehmer verwechselten Frieden mit der Ansage »Hör auf, dich zu wehren, dann ist es schneller vorbei!«. Wagenknecht und Schwarzer würden auf ukrainische Gräber »scheißen« und nur an ihre »politischen Karrieren« denken. Der Feststellung von Sahra Wagenknecht »Sie haben Angst vor einer neuen Friedensbewegung« auf der Kundgebung am 25. Februar stellte Bosetti die Drohung von Alexander Gauland »Wir werden sie jagen« gegenüber, die der AfD-Politiker 2017 nach dem Einzug seiner Partei in den Bundestag ausgesprochen hatte. Bosettis Meinung nach passt dieser absurde Vergleich »erschreckend gut«. Als in einer anderen Folge die Frage »Waffenlieferungen für die Ukraine – ja oder nein?« verhandelt wurde, hatte Bosetti Weisheiten verkündet wie: »Möglicherweise existiert kein Ausweg aus diesem Krieg. Vielleicht kommt, egal, was die NATO und die USA nun tun, der dritte Weltkrieg – das ist ein Gedanke, den man zulassen sollte.«

Dass der Kabarettist Dieter Nuhr in seiner Sendung »Nuhr im Ersten« vom 9. März Wagenknecht riet, eine Partei mit dem Namen »Nationalsozialistische Partei Deutschlands« zu gründen – geschenkt. Vom neoliberalen FDP-Hofnarren, der übrigens einst Gründungsmitglied der Grünen-Partei war, erwartet man nichts anderes. Bedenklich ist aber, dass auch Künstler, die als links gelten oder sich selbst so einordnen, inzwischen kaum mehr anderes erzählen als Nuhr. So ist etwa das einst NATO-kritische ZDF-Format »Die Anstalt« längst »auf Ostfrontlinie gebracht« worden (s. M&R 2/2022).

Der Redaktion der »Mitternachtsspitzen«, einer der ältesten Kabarettsendungen im deutschsprachigen Fernsehen, fällt zur Friedensbewegung nur noch der Spruch »Egal, wofür oder wogegen ich demonstriere, niemals an der Seite von Nazis« ein, so Moderator Christoph Sieber in der Ausgabe vom 4. März – als hätte Wagenknecht nie gesagt, was sie tatsächlich gesagt hat: »Dass Rechtsextremisten, die in der Tradition eines Regimes stehen, das den schlimmsten Weltkrieg seit Menschheitsgedenken vom Zaun gebrochen hat, auf einer Friedensdemo nichts zu suchen haben, versteht sich von selbst.« Zur Lieferung von Waffen meint Sieber: »Im Angesicht eines Kriegsverbrechers kann unsere Botschaft nicht sein, die andere Wange auch noch hinzuhalten – vor allem, wenn es die Wange eines anderen ist.« Sein Kollege Philip Simon ließ sich bei seinem Auftritt in Siebers Show nicht lumpen, was haarsträubende Vergleiche angeht: »Alice Schwarzer, eine Frau, die für die Selbstbestimmung der Frauen gekämpft hat, spricht der Ukraine genau dieses Recht ab. Ja, Feminismus war gestern, ab sofort zählt wieder die Schwanzlänge. Und von Sahra Wagenknecht erwarte ich eh nichts mehr«, so Philip Simon weiter. »Wer die Grünen als die gefährlichste Partei im Bundestag bezeichnet, der hat den Populismus so weit nach links getrieben, dass er rechts wieder angekommen ist.« Die angebliche Haltung jener paraphrasierend, die für Frieden auf die Straße gehen, polterte er: »Es wäre doch für alle am besten, wenn sich die Ukraine jetzt einfach auf den Rücken legt und den Putin endlich machen lässt.«

Sinnfrei und sexistisch

Dass es noch niveauloser geht, zeigen Satire-Formate wie das »Browser Ballett« von Christian Brandes alias Schlecky Silberstein – Vorstand und Mitgründer der Gesellschaft für digitale Ethik. In einer Folge wurden Wagenknecht mittels Videocollage Aussagen in den Mund gelegt, die gar nichts über die Realität, mit der Satire sich konfrontierten sollte, dafür aber viel über die reaktionären Frauenbilder der verantwortlichen Redaktion aussagen: »Alice Schwarzer und ich fangen jetzt auch an, die Schamhaare zu rasieren, um Putin ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten.« Das Satiremagazin Postillon biedert sich mit Schlagzeilen wie »Wagenknecht sendet ihre Youtube-Videos künftig direkt aus Putins Arsch« bei der Kriegslobby an.

Angesichts solcher Verkommenheit fragt sich Serdar Somuncu: »Was ist bloß aus den Künstlern und Intellektuellen in unserem Land geworden?« Die meisten hätten sich längst auf die Seite der Macht geschlagen, meint der vielleicht letzte namhafte Kabarettist, der sich noch oppositionell regt. Viele stünden sogar schon »auf den Gehaltslisten von offen bekennenden Ausbeutern«, schrieb Somuncu einige Tage bevor er seinen Abschied von der Bühne bekannt gab. »In dieser Enge ist keine Kunst möglich.«

Der Beitrag erschien am 28.03.2023 im M&R-Newsletter 2/2023. Den Newsletter können Sie kostenlos hier bestellen.

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