Alfred Hrdlickas brutal-realistische Utopie der Fleischheit
Susann Witt-Stahl
Der Mensch sei in der bürgerlichen Kunst nach 1945 zur Persona non grata erniedrigt worden. In vielen Kunstrichtungen der Postmoderne würden nur noch »Weltbilder ohne Menschenbild« geformt, schrieb der Bildhauer, Zeichner und Maler Alfred Hrdlicka (1928–2009) in einem Essay mit dem Titel »Die Ästhetik des automatischen Faschismus« aus dem Jahr 1983. In der Op-Art und anderer abstrakter bildender Kunst sei »alles endlos wiederholbar, seriell, wie von einem Stück abgeschnitten, Laufmeterbilder«. Zu den Vorreitern dieser Entwicklung zählte Hrdlicka Arno Breker – einen der »Schaufenstergesttalter« des NS-Staates. Gemeinsam mit dessen – allerdings noch figürlichen – Werken, in denen selbst primäre Geschlechtsmerkmale zur »Applikation« verkommen seien, habe diese dekorative Kunst, dass ihr der Mensch »bloß ein Vorwand« sei.
Hrdlickas Angriff auf die abstrakte Kunst, die, wie er meinte, einen »Avantariernachweis« verlange, aber auf Überzeugung verzichte, als bloße Polemik, gar nur einer Laune geschuldeten Grantelei abzutun, griffe viel zu kurz. Er war vielmehr Ausdruck seiner Fundamentalkritik an einer Kunst, die ihren Frieden mit den Herrschenden gemacht und die Welt nach Auschwitz affirmiert hat – obwohl diese die Bedingungen der Möglichkeit der Wiederholung der Regression in die Barbarei nicht beseitigt hat. »Der Faschismus ist, das muss man leider sagen, die Ausgeburt der bürgerlichen Demokratie«, so Hrdlicka. Sein wütender Protest gegen den Austausch des Menschen durch »Quadrate, Ornamente, Strukturen, Nirostaplatten und -röhren, Stangen, Kugeln, Würfel«, die der Künstler, das »anpassungsfähige, experimentierbeflissene Meerschwein«, willfährig vorgenommen hat, ist als Kampfansage eines (kunst-)werktätigen Proleten zu lesen, der unermüdlich mit harter lebendiger Arbeit menschliches Fleisch aus totem Material schlägt – und zwar gegen genau die permanent immer noch weiter getriebene Verdinglichung des Menschen, die zu der bisher größten welthistorischen Katastrophe geführt hatte. …
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2021, erhältlich ab dem 18. Juni 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.