Am 8. Juni 2019 fand im Heimathafen Neukölln die Künstler-Konferenz von Melodie & Rhythmus statt. Wir dokumentieren hier Teile des Programms. Wir dokumentieren hier die Podien, Interviews, Vorträge etc.
Vortrag: Zu den Möglichkeiten und Grenzen widerständiger Kunst und Kultur in der Warengesellschaft
Der moderne Diskurs über Kunst bewegte sich von Anbeginn zwischen dem Postulat der Kunst um der Kunst willen (l‘art pour l‘art), mithin der Kunst als Selbstzweck, und der Kunst im Kontext ihrer Erscheinung, also Kunst mit fremdbestimmten Funktionen oder gar Bestimmungen. Daran knüpft sich auch die Frage nach der Möglichkeit von kritischer Kunst und kritischer linker Kultur im Kontext einer kapitalistischen Warenkultur, die besonders geeignet ist, Kunst zu vereinnahmen und kulturindustriell ihrer kritischen Dimension zu berauben. Vor diesem Hintergrund gilt es, Potenziale und Grenzen widerständiger Kunst auszuloten.
Vortrag: Moshe Zuckermann (Kunsttheoretiker)
Podium IV: »Im Vergangenen den Funken der Hoffnung anfachen« − Erinnerungskultur als Akt der Rettung
Fortschrittliche Künstler und Intellektuelle betrachten Geschichte nicht museal als Abgeschlossenes. Sie begreifen die Vergangenheit als untrennbar mit dem Heute Verbundenes, das wiederbelebt werden und die Gegenwart verändern kann. Werke wie »Gedenkblatt für Karl Liebknecht« von Käthe Kollwitz oder Alfred Hrdlickas dem antifaschistischen Widerstand gewidmete Skulptur »Marsyas« bilden die Antithese zu bürgerlicher Nostalgie und rechtem Mythos, denn sie halten ein revolutionäres historisches Bewusstsein wach, das den Besiegten, aber nicht Widerlegten, die gescheitert sind, gedemütigt, gequält und dem Vergessen ausgeliefert wurden, die Treue hält, ihren Idealen neues Leben einhaucht und sie aktualisiert: Erinnerung wird zum Akt der Rettung für die Gegenwart und eine befreite Zukunft – zum Funken, der »den Sprengstoff, der im Gewesenen liegt«, zur »Entzündung« bringt, wie Walter Benjamin in seinem »Passagen-Werk« schrieb. Heute mahnt sie vor allem zur Verteidigung der getöteten Besiegten und anderer Opfer des Terrors der Herrschenden, die immer skrupelloser für die Konditionierung zum Konformismus, falsche Versöhnung mit der kapitalistischen Weltordnung und kommerzielle Ausschlachtung in der Kulturindustrie vereinnahmt werden: von der Sozialdemokratisierung der Kommunistin Rosa Luxemburg bis zum Verramschen von Che Guevara als Posterboy. Zur Perversion getrieben wird der Imperativ »Erinnere dich!«, wenn die Opfer von Holocaust, Verfolgung und Krieg als »Argument« für imperialistische Raubzüge herhalten müssen. »Auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört«, heißt es in Benjamins geschichtsphilosophischen Thesen. Was tun, wenn die Feinde derart mächtig sind, dass sie sogar ungehindert die von ihren politischen Vorfahren Ermordeten für neofaschistische Lügenpropaganda instrumentalisieren können − wie es unlängst der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro in Yad Vashem gewagt hat? Ist es heute überhaupt noch möglich, eine authentische (Klassen-)Erinnerung an die Besiegten und Unterdrückten zu bewahren und, wie von Benjamin gefordert, »im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen«, die zur Erfüllung im Reich der Freiheit treibt?
Es diskutieren:
Esther Bejarano (Sängerin)
Erich Hackl (Schriftsteller)
Moshe Zuckermann (Kunsttheoretiker)
Moderation: Susann Witt-Stahl (Chefredakteurin Melodie & Rhythmus)
Künstler-Konferenz der Melodie & Rhythmus: Podium III: »Utopie von der Freiheit des Menschen«
Die Idee einer revolutionären Kunst wurde im 20. Jahrhundert in einer atemberaubenden Radikalität gedacht. Ob Arseni Awraamows der Oktoberrevolution gewidmete »Sinfonie der Fabriksirenen« von 1922 oder Erwin Piscators an das Proletarische Theater anknüpfende »Revue Roter Rummel« von 1924 − die Erfolge in den Klassenkämpfen lösten eine regelrechte Eruption in der Kunst- und Kulturproduktion aus. Aber wie beispielsweise Diego Riveras Gemälde »Der Mensch am Scheideweg« (zwischen Sozialismus und Barbarei) von 1933 oder die Gedichte von Roque Dalton in den 1960ern und 70ern zeigen, haben linke Künstler auch in nicht- oder konterrevolutionären Zeiten an revolutionären Formen und Inhalten gearbeitet. Hans Werner Henze hat mit seiner Sinfonia Nr. 6, deren Uraufführung er 1969 in Havanna dirigierte, »Musik gegen die Bourgeoisie« und ein »direktes Bekenntnis zur Revolution« in zwar noch bewegten, aber schon schweren Zeiten komponiert, als die internationale antikapitalistische Linke sehr bald in die Defensive geraten sollte. Bereits 1968 hatte er erklärt, Musik könne angesichts der wachsenden gesellschaftlichen Widersprüche nur noch als »Akt von Verzweiflung« verstanden werden, und verwies auf die Dringlichkeit der Schaffung des »größten Kunstwerks der Menschheit«: der Weltrevolution. Was gilt fast 50 Jahre später, seit der schweren Niederlage von 1989/90 und Alleinherrschaft des Kapitalismus − was bleiben der Kunst und Kultur außer einer kämpferischen großen Weigerung? Und wie kann eine radikale Verneinung des Bestehenden produktiv in eine Ästhetik einer neuen konkreten »Utopie von der Freiheit des Menschen« (Henze) übersetzt werden?
Es diskutieren:
Konstantin Wecker (Liedermacher)
Wieland Hoban (Komponist)
Mesut Bayraktar (Schriftsteller)
Moderation: Stefan Huth (Chefredakteur junge Welt)
Künstler-Konferenz der Melodie & Rhythmus: Podium II: »Unter den Medien schweigen die Musen« − Im Bann von Manipulationsästhetik und (digitalisierter) Meinungsmache
Die Grenzen zwischen Journalismus und Propaganda für die herrschende Ordnung waren seit jeher fließend. Heute sind sie nahezu komplett aufgelöst. Die »Exterminierung der Wirklichkeit und ihre Ersetzung durch eine Medienwelt« und der Triumph der »Manipulationsästhetik« über die Kunst, wie sie Peter Hacks 1990 in seinem Essay »Unter den Medien schweigen die Musen« diagnostiziert hatte, streben so gut wie ungebremst zur Vollendung. In Online-Kulturmagazinen, die in den vergangenen Jahren in großer Zahl gegründet wurden, auch längst schon und viel gefährlicher in der Konzernpresse bis hinein in die öffentlich-rechtlichen Medien zeichnet sich (wieder) in dem Trend der Ästhetisierung der Politik eine faschistoide Instrumentalisierung von Kunst und Kultur ab. Die größte Ideologiefalle stellt aber der Mythos von nahezu unbegrenzten Publikationsmöglichkeiten, freiem Informationsaustausch und Kommunikation im Internet dar. Solange es unter der Verfügungsgewalt des Kapitals steht, ist die Basis, auf der Technologien Macht in der Gesellschaft gewinnen, immer die Macht der ökonomischen Eliten – und so ist die zu einer Kampagne angewachsene Beschwörung des Endes der Printmedien vor allem von dem Interesse an Profit und Herrschaftssicherung geleitet. Die rasant fortschreitende totale Digitalisierung beschleunigt auch Eindimensionalisierungsprozesse in der Berichterstattung und ermöglicht die Ausübung totaler Kontrolle: Immer häufiger werden Organe der linken Opposition geblockt, gelöscht oder unerwünschte Positionen gefiltert. Und durch die Stauchung des Contents in eine für die Online-Rezeption passende Form wird die Praxis der Kulturtechnik des (kollaborativen) Schreibens von langen einander ergänzenden Texten, also die Darstellung komplexer Zusammenhänge, Hintergründe und Analysen, sukzessive eingeschränkt, perspektivisch verschwinden. Der verordnete Trend geht zu einem banalen, via Smartphone konsumierbaren Häppchen-Journalismus, der die Aufklärungsagenda kritischer Presse weiter unterminiert. Wo finden sich noch Schlupflöcher für eine radikale Ideologiekritik im Räderwerk einer Medienmaschine, die auch ohne Zensur nur die Meinung der Herrschenden ausspuckt? Welche Strategie müssen linke Medienschaffende anwenden, um ihrer politischen und historischen Verpflichtung nachzukommen, vom Standpunkt der Ausgebeuteten und Unterdrückten aus zu zeigen, wie die Verhältnisse wirklich sind?
Es diskutierten:
Ekkehard Sieker (Redakteur »Die Anstalt«)
Ekinsu Devrim Danış (Redakteurin Yeni E)
Julieta Daza (Redakteurin Agencia Bolivariana de Prensa, der Wochenzeitung Petare Al Día [Caracas] und der Radiosendung Paraos en la raya [Caracas])
Moderation: Dietmar Koschmieder (Geschäftsführer Verlag 8. Mai)
Podium I: »Anschwellender Bocksgesang« − Zur Rechtsentwicklung in der Kultur
In Deutschland wird eine »rechtsintellektuelle Wende« beschworen. Ihr Vorschein und Elemente einer Programmatik fanden sich bereits in Botho Strauß’ 1993 veröffentlichtem »anschwellenden Bocksgesang«. Heute normalisiert sich die Rechtsentwicklung in allen möglichen Strömungen (ob als konservativ, neu-rechts, neonazistisch, neokonservativ oder prowestlich faschistisch), hat längst ihren festen Ankerplatz in der »bürgerlichen Mitte« erobert und findet auch großen Niederschlag in der Kulturindustrie-Produktion. Was durch Sloterdijk, Tellkamp & Co, in Vulgärform durch Sarrazin und Broder, zunehmend Raum in den Feuilletons greift im Unterhaltungssegment als »Volks-Rock’n’Roll«, »Nuhr mal so« als »Kabarett« gegen »den Islam«, die Friedens-, Mieten- und Klimabewegung daherkommt, wird immer seltener als sozialdarwinistische Propaganda, antiaufklärerisch und menschenfeindlich erkannt − und als Problem ausschließlich der Pegida-»Pöbel« ausgemacht. Der Mainstream der linken Kulturszene reagiert bewusstlos, gibt sich der falschen Hoffnung auf Popularisierung durch »Antifa«-Branding oder anderem (Markt-)Konformismus hin und damit die antifaschistische Kunsttradition von Eisler und Brecht auf. Obwohl (und manchmal auch gerade weil!) diese einen unverstellten Blick auf die Wesensverwandtschaft von Kapitalismus mit rechten Gesellschaftsmodellen ermöglicht – und auf eine völlig verrohte ökonomische Elite, die längst die Abenddämmerung der bürgerlichen Demokratie hat anbrechen lassen. Was tun gegen die wachsende »geistige Obdachlosigkeit« der Intellektuellen, wie sie Siegfried Kracauer schon einmal Anfang der 1930er-Jahre festgestellt hatte? Was ist nötig, um aus der Defensive serviler Anpassung und Resignation in eine antikapitalistische Kulturoffensive zu kommen, die nicht trügerische, sondern prometheische Träume entfalten kann?
Es diskutierten:
Konstantin Wecker (Liedermacher)
Gisela Steineckert (Schriftstellerin)
Rolf Becker (Schauspieler)
Volker Lösch (Regisseur)
Moderation: Arnold Schölzel (Chefredakteur RotFuchs)
Anzeigen br>Vorsicht Satire: Alles.Scheizse sah sich gezwungen, »kritisch zu intervenieren«: Die Band hat einen Live-Song mit einer unmissverständlichen Botschaft performt: Revolution ist Quark und abgesagt, also muss die Linke sich weiter in den transatlantischen Konsens der BRD einfügen. Denn wie zentrale Denker der Kritischen Theorie, Marx, Adorno, Broder und Trump, schon immer wussten: »Gegen den Faschismus steht das Kapital – der Kampf um Befreiung ist neoliberal!«
Alles.Scheizse sind die ideologiekritischste Antifa-Musikgruppe der Welt und verteidigen den liberalen Westen und seine Kriege für die Zivilisations-Wahrung gegen die fiesen Kommunisten, Moslems und andere Nazis. Ihre Waffen: Inflationär gebrauchte Antisemitismus-Vorwürfe, bürgerlicher Hedonismus und dumpf-deutscher Elektropop.