Avi Mograbis kurzes Handbuch für ein 54 Jahre dauerndes Unterdrückungsregime
Interview: Dror Dayan
Der israelische Filmemacher Avi Mograbi setzt sich seit mehr als 30 Jahren mit dem alltäglichen Terror der Besatzungspolitik in Palästina auseinander – willkürliche Tötungen und andere Gewalt gegen Zivilisten, Verhaftungen, nächtliche Hausdurchsuchungen und so weiter. Charakteristisch für sein teilweise experimentelles Kino sind eine gehörige Portion Selbstironie und ein bitterböser Humor. Sein neuer Film »Die ersten 54 Jahre« wurde auf der diesjährigen Berlinale aufgeführt. M&R sprach mit Mograbi über die Konzeption und Ästhetik seiner kunstvollen Dokumentationen, seine Arbeitsweise, die Rezeption seines Schaffens in Israel und Deutschland – und auch über die jüngste Eskalation.
Herr Mograbi, wie haben Sie die vergangenen Wochen als kritischer Künstler in Israel erlebt?
Die gewalttätigen Überfälle von rassistischen Banden auf Palästinenser oder die Medienkommentatoren, die die Zerstörung und das Töten in Gaza feiern – es ist schwer zu sagen, was abstoßender ist. In solchen Momenten geht es kritischen Kunstschaffenden ebenso wie allen anderen Zivilisten, die Einspruch erheben wollen. Sie können auf die Straße gehen und demonstrieren – und genau das taten wir. Es gab leider nicht viele Stimmen gegen den nationalistischen Geist, der gerade in der Bevölkerung herrscht. Israel ist gegenwärtig kein Ort, an dem man einen politischen Kurswechsel erwarten kann.
Ihr Film »Die ersten 54 Jahre. Ein kurzes Handbuch für militärische Besatzung« ist eine Art Chronik der israelischen Okkupationspolitik im Westjordanland und in Gaza von 1967 bis heute. Im Gegensatz zu vielen anderen Ihrer Filme wechseln Sie hier von einer Mikroperspektive, mit der eine konkrete Geschichte unter die Lupe genommen wird, auf die Makroebene. Warum haben Sie diesen Zugang gewählt?
Das war in diesem Sinne keine bewusste Entscheidung: Diese Überblicksform ist nur dazu da, dem Narrativ des Filmes zu dienen. Sonst wären Zuschauer, die sich mit dem Thema nicht gut auskennen, einfach verloren. Rein historisch betrachtet, weist der Film auch Lücken auf – es fehlen einige wichtige Ereignisse, etwa der Libanon-Krieg von 1982, der für die Geschichte und Identität der Palästinenser von großer Bedeutung ist.
Das Werk hat die stille Ästhetik eines »objektiven« Lehrfilms. Welche Absicht haben Sie damit verfolgt?
Ja, er ist wie ein Youtube-Anleitungsvideo oder ein sogenannter TED-Talk aufgebaut, in dem ein Präsentator den Zuschauern erklärt, wie man eine militärische Besatzung aufrechterhält – obwohl er selbst eigentlich nie spezifisch von der israelischen redet. …
[≡] Die ersten 54 Jahre
Ein kurzes Handbuch für militärische Besatzung
Regie: Avi Mograbi
Ma.ja.de
Das komplette Interview erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2021, erhältlich ab dem 18. Juni 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.