Foto: Jim Hollander
Von dem drastischen Rechtsruck der israelischen Gesellschaft bleiben auch die Musiker nicht unberührt
Maren Hansson
Der britische Musiker und Produzent Brian Eno (Roxy Music, U2, Coldplay) sprach Anfang August, als der jüngste Gaza-Krieg wütete, von einer »ethnischen Säuberung«, die an der palästinensischen Zivilbevölkerung verbrochen werde. Der US-Regierung warf er vor, Israel finanziell in einem »einseitigen kolonialistischen Krieg« zu unterstützen; das sei, »als wenn man dem Ku-Klux-Klan Geld überweisen würde«. Mit dem rassistischen Geheimbund wurden die rechten Siedler, die nachts arabische Dorfbewohner terrorisieren, bereits des Öfteren verglichen.
»Die Araber sind wertlos. Sie haben von nichts eine Ahnung, außer vom Töten und Zerstören«, rechtfertigt der israelische Schlagersänger Ariel Zilber das brutale Vorgehen gegen die Palästinenser. Auch sonst vertritt Zilber radikal rechte Positionen. »Ich befürworte nicht die Tötung von Homosexuellen – sie können, wo auch immer, leben, nur nicht hier«, meint er. Noch schlimmer als die Schwulen seien die Linken: »Alle Linken sollten vertrieben und in die Hölle gejagt werden.«
Zilber plädiert für eine Begnadigung von Jigal Amir, der im Jahr 1995 die beiden tödlichen Schüsse auf Premier Jitzchak Rabin abgefeuert hatte. Lobende Worte findet er auch für das durch Baruch Goldstein im Jahr 1994 verübte Massaker in Hebron, bei dem 29 Palästinenser getötet und 150 verletzt wurden. Goldstein war Mitglied in der Kach-Partei, die nach dem Attentat verboten wurde und von Israel und Kanada, später auch von der EU und den Vereinigten Staaten, als Terror-Organisation eingestuft worden ist. Gründer sowohl der Kach-Bewegung sowie der Jewish Defense League war der Rabbiner Meir Kahane, der vom Obersten Gerichtshof Israels als Faschist deklariert wurde. Ein Lied, das Zilber komponiert hat, proklamiert: »Kahane hatte Recht.«
Dennoch ist Zilber zum Beginn des Jahres von der Association of Composers, Authors, and Publishers of Music in Israel (ACUM) mit einem Preis bedacht worden. Ursprünglich wollte der Verband den Sänger für sein Lebenswerk auszeichnen. Wenige Stunden vor der Verleihung verfrachtete die Jury Zilber, angesichts seiner rassistischen Äußerungen, in die weniger bedeutende Kategorie »Beitrag zur israelischen Musik«. Der linken Sängerin Achinoam Nini – international als Noa bekannt – ging das nicht weit genug. Sie sollte von der ACUM ebenfalls mit einem Preis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet werden; aufgrund des Umstands aber, dass Zilber geehrt wurde, verweigerte sie dessen Annahme. Daraufhin schlug der Künstlerin eine Welle der Entrüstung entgegen. Bei der Übergabe des Preises warf Zilber der ACUM vor, sie habe sein Recht auf eine eigene Meinung mit Füßen getreten – und mit dieser Ansicht stand er nicht alleine da. Die Tageszeitung Haaretz etwa kommentierte, mit der Änderung der Jury-Entscheidung würden der Musik und der Kunst in Israel insgesamt Filter vorgeschoben.
Der israelische Journalist Uri Avnery dagegen zollte der Sängerin Respekt und schrieb: »Sie brachte ein großes Opfer mit dem, was sie tat. Sie wird vom ganzen rechten Publikum boykottiert werden. Sie wird zu Festspielen von Organisatoren nicht eingeladen, die das große Zittern bekommen, wenn sie an den Verlust der Regierungszuschüsse denken.« Der Friedensaktivist erinnert sich noch daran, wie nach dem Ausbruch der Ersten Intifada in Tel Aviv eine große Friedensdemonstration auf dem Platz stattgefunden hatte, der später in »Rabin-Platz« umbenannt werden sollte. Praktisch alle Künstler seien dort gewesen. Aber: »Diese Zeiten sind lange Vergangenheit. Selbst wohlbekannte linke Künstler sind jetzt ängstlich, ihre Meinung zu sagen. Gott bewahre. Es könnte sie in den finanziellen Ruin führen.«
Ende Juli berichtete die FAZ: »Seit Wochen herrscht in Israel die Angst davor, sich als Linker oder Linke zu bekennen.« Der Grund: Die Zahl der Rechtsradikalen im Land wachse. Am 12. jenes Monats waren in Tel Aviv Teilnehmer einer Friedensdemonstration brutal zusammengeschlagen, ein Café, in das einige geflüchtet waren, demoliert worden. Zur Gewalt aufgerufen hatte der rechte Rapper Yoav »Ha- Zel« (der Schatten) Eliassi. Seinen Fans hatte er auf seiner Facebook-Seite angekündigt: »Meine Löwen, ich serviere euch heute Fleisch von Linken zum Abendessen.« Neben israelischen Fahnen trugen die Schläger T-Shirts mit der Aufschrift »Good night, left side«. Am Morgen danach bedankte sich Eliassi, wieder via Facebook, bei seinen Anhängern, ebenso bei den Gruppen, aus denen die restlichen Angreifer stammen. Diese gehören etwa zu Kahane Chai (»Kahane lebt«), einer Nachfolgeorganisation der Kach-Partei.
»Man konnte oder wollte sich nicht vorstellen, wie viele solcher Radikalen es wirklich gibt. Vor allem konnte man sich nicht vorstellen, dass sie einmal zusammenarbeiten würden«, so die FAZ. Der Tatsache, dass es in ihrem Land eine breite gewaltbereite rechtsradikale Front gibt, muss die israelische Gesellschaft spätestens seit dem Angriff des Schläger-Mobs auf die Friedensaktivisten ins Auge schauen. »Eliassi, gegen den immer noch kein Verfahren eingeleitet wurde, bezeichnete die Täter als ›Löwen des Schattens‹. Später veröffentlichte er eine Kolumne auf einer Nachrichtenseite, in der er von mehr als 10.000 die Aktion befürwortenden Schreiben von israelischen Soldaten berichtete und versprach, ›nicht aufzuhören‹. Viele linksstehende Israelis erwachen jetzt in einer Wirklichkeit, vor der sie immer gewarnt, an deren Kommen sie jedoch nie wirklich geglaubt haben.« Der Haaretz-Journalist Gideon Levi etwa bekam nach einem kritischen Artikel Morddrohungen, so dass die Zeitung ihm einen Leibwächter zur Seite stellen musste. Ein Video zeigt, wie Eliassi und zwei weitere Männer Levi auf der Straße verfolgen.
Die Faschisierung der israelischen Gesellschaft, die auch in der Popkultur ihren Ausdruck findet, ist schon lange zu beobachten. Sie wird vom Westen zwar wahrgenommen, allerdings meist stark verharmlost. Schon vor zehn Jahren bemerkte die Springer- Zeitung Die Welt den gefährlichen Wandel: In einem Artikel aus dem Jahr 2004 hieß es: Während die »Candle-Generation« der 1990er- Jahre ihre Kerzen für den ermordeten Jitzchak Rabin noch zum melancholischen Protestpop des langhaarigen, androgynen Kriegsdienstverweigerers Aviv Geffen entzündet habe, einem »sanften Bürgerschreck der Friedensbewegung« – Geffen stand beim Attentat auf Rabin nur vier Meter vom Geschehen entfernt und bezeichnet dieses Erlebnis als den dramatischsten Moment seines Lebens, der ihn zum Friedensaktivisten werden ließ –, sei für die Jugend Israels Frieden mit den Palästinensern inzwischen in weite Ferne gerückt. Das, was Yoav Eliassi von sich gibt, nennt Die Welt »patriotische Verse«. Stolz habe Eliassi sich den Davidstern, »einst Sinnbild für Ausgrenzung und Verfolgung«, tätowieren lassen, und glaube fest daran, »die Seele des Hip-Hop« zu verkörpern, nämlich: Die Kultur »der Underdogs, der Unterdrückten und Bedrohten«.
Den Artikel lesen Sie in der M&R 6/2014, erhältlich ab dem 31. Oktober 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.