Melodie & Rhythmus

»Wir haben dreißig Mandate«

25.08.2015 15:01
Foto: Ronen Zvulun / Reuters

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Die neue Ministerin regiert die kritische Kunst- und Kulturszene ihres Landes mit Ressentiments, Drohungen und Zensur. Ihre Kulturpolitik spiegelt den dramatischen Abbau von Meinungsfreiheit und Demokratie in Israel

Anmerkungen zu Israels Kulturministerin Miri Regev
Moshe Zuckermann, Tel Aviv

Miri Regev Foto: Moshe Milner

Miri Regev
Foto: Moshe Milner

Miri Regev bekleidet in der gegenwärtigen Regierung Israels das Amt der Ministerin für Kultur und Sport. Ein Kulturminister muss kein Kulturmensch sein, wie ein Wissenschaftsminister nicht aus dem Wissenschaftsbereich kommen muss. Dennoch darf erwartet werden, dass ein Wissenschaftsminister nicht gegen Wissenschaftler und Wissenschaft eingestellt ist. Wer ein Ministerium leitet, sollte sich mit dem ihm anvertrauten Bereich identifizieren können. Es ist bekannt, dass Miri Regev das Amt der Kultur- und Sportministerin nicht gewollt hat; laut gut informierten Kreisen wollte ihr Premierminister, Benjamin Netanjahu, sie auch nicht gerade haben, musste ihr aber einen Ministerposten verleihen, weil sie bei den Vorwahlen der Likud-Partei einen hohen Listenplatz errungen hatte. Sie erhielt schließlich kein »wichtiges« Ministerium, sondern »nur« das für Sport und Kultur. Miri Regev machte kein Hehl aus ihrer Enttäuschung – dafür aber umso mehr reden von sich.

Ihre ersten Amtsmonate waren durch einen vehementen Konflikt mit Israels Kunstszene gekennzeichnet. Das kam nicht von ungefähr. Ehe Regev zur Politik gelangte, hatte sie eine lange Militärkarriere hinter sich, während der sie unter anderem das Amt der Medienzensur und später das der Sprecherin der Israel Defense Forces in einer Art und Weise erfüllte, dass man sie bezichtigte, sich der PR der Armee und ihres Generalstabschefs befleißigt zu haben. So unterwürfig systemkonform sie sich indes im Militärischen aufführte, so machtgeil und kampflustig provokant erwies sie sich sehr bald, nachdem sie politischen Einfluss erlangt hat. In der Zwischenzeit hatte sie sich mit vulgären, populistischen Auftritten einen zweifelhaften, von der Likud-Klientel freilich sehr geschätzten Namen gemacht. 2012 verkündete sie in einer Fernsehtalkshow, sie sei »glücklich, Faschistin zu sein«. In der vorigen Netanjahu-Legislaturperiode sorgte sie für die Unterstellung der Siedlungen im besetzten Jordantal unter die Oberhoheit der israelischen Justiz. Die aus Afrika nach Israel gelangten sudanesischen Flüchtlinge bezeichnete sie als »Krebsgeschwür in unserem Körper«. Sie befasste sich auch auf parlamentarischer Ebene mit der Untersuchung der Finanzierungsquellen der Flüchtlingshilfsorganisationen, denen sie vorwarf, »den jüdischen Charakter des israelischen Staates verändern« zu wollen.

Nunmehr Kultur- und Sportministerin und sich der breiten ideologischen Unterstützung der Likud-Wählerschaft gewiss, gab sie gleich nach Amtsantritt eine von rigidem Chauvinismus durchzogene, auf krude Machtausübung ausgerichtete Marschroute vor. Sie schikanierte den arabischen Schauspieler Norman Issa und drohte dem von ihm geleiteten kleinen Theater mit Streichung der Subventionen, weil er sich weigerte, im besetzten Jordantal aufzutreten. So verfuhr sie auch mit dem arabischen Al-Midan- Theater in Haifa, weil das dort gespielte Stück »Die parallele Zeit« auf Schriften des inhaftierten Terroristen Walid Daka basieren und der Autor sich vorgeblich mit dem Terroristen identifizierte. Zugleich verbot sie auch die Aufführung eines Filmes über den Rabin-Mörder Yigal Amir im Rahmen des diesjährigen Jerusalem Film Festival.

Nicht wenige Künstler kritisierten derlei Maßnahmen mit öffentlichen Petitionen und Versammlungen. Regev quittierte die Proteste mit dem Spruch, die Kunstszene sei undankbar, und sie habe »keinen Bock, für Undankbare zu arbeiten«. Während der Begegnung mit den Künstlern sagte sie ganz unverhohlen, dass die Entscheidung, wer und was in den Genuss des von ihr verwalteten Kulturbudgets komme, einzig von ihr getroffen werde. Schließlich habe »der Likud dreißig Mandate gekriegt, und Ihr nur zwanzig«. Oded Kotler, ein führender israelischer Theaterregisseur und Schauspieler, bezog sich darauf, als er sagte: »Stellen Sie sich eine schweigende Welt vor, Frau Regev, ohne Buch und ohne Musik oder Gedicht, eine Welt, in der niemand eine Nation stört, die dreißig Mandate feiert, hinter denen eine strohfressende Viehherde herläuft.« Kotlers Aussage wurde als eine Beschimpfung der Likud-Wähler ausgelegt und erfuhr sofort eine scharfe Rüge im öffentlichen Diskurs.

Hingewiesen sei auf die dieser Polemik zugrunde liegende ethnische Dimension. Denn zwar sollten sich die »zwanzig Mandate«, die Regev der Kunstszene zuwies, auf die Zugehörigkeit der Kunstszene zum linken Politfeld Israels anspielen. Aber schon die Reaktion auf Kotlers »Viehherden«-Rede indizierte, dass es den wütend-beleidigt Reagierenden nicht nur um die Parteizugehörigkeit ging, sondern auch um ein in Israel seit jeher perpetuiertes ethnisches Ressentiment. Demnach halten orientalische Juden als Likud-Wähler verbissen eine »orientalische« Populärkultur hoch, die sich gegen eine vorgeblich repressive »aschkenasische Hegemonie« der Hochkultur wendet. Auf diesem Tiger reitet auch Miri Regev, selbst marokkanischer Provenienz. Sie behauptet, dass sie für die Verbreitung von Kultur in der unterprivilegierten Peripherie kämpft. Dieses vermeintlich positive Ansinnen darf getrost als hohles Lippenbekenntnis gewertet werden: Der Peripherie gehören ja auch Israels Araber an – und wie sie mit dieser Minderheit umzugehen gedenkt, hat die Ministerin gleich bei ihrem Amtsantritt deutlich zu verstehen gegeben. Dass sie zudem proklamierte, Aufgabe der Kultur sei es, »dem Volk Brot und Spiele zu liefern«, zeugt nicht nur von der Dürftigkeit ihres Kulturverständnisses und ihres Begriffs des ihr anvertrauten ministerialen Auftrags, sondern auch von der ihr eigenen kulturellen und historischen Ignoranz.

Genau genommen geht es aber gar nicht um Miri Regev. Zwar erregt ihre clowneske Demagogie und machtbesessene Streitlust einige öffentliche Aufmerksamkeit, aber ihre schillernde Person ist lediglich Symptom von etwas ungleich Bedenklicherem: die zunehmend ideologisch verfestigte und politisch praktizierte Beschneidung der allgemeinen Redefreiheit und künstlerischen Meinungsäußerung in Israel. Dass seine Politik und Gesellschaft schon seit Jahren einen unaufhaltsam scheinenden Rechtsruck durchläuft, mithin sich vieles im israelischen Alltag immer mehr faschisiert und unverhohlen rassistisch durchsetzt ist, dürfte niemandem, der das Land kennt, ein Geheimnis sein. Auch dass sich die Opposition immer wieder gleichschalten ließ, mithin sich ihres (linken) Auftrags der Erhaltung eines potentiell möglichen Gegenentwurfs begab, ist kaum noch überraschend – nicht nur der Neoliberalismus, sondern auch ein aggressiver Nationalismus feiert in Israel zurzeit fröhliche Urständ. Es gibt noch kleine außerparlamentarische Oasen, die sich dieser konsensuellen Gesamttendenz, wie immer randständig, zu widersetzten trachten. Hier und da rührt sich auch etwas (viel zu weniges) im kritischen akademischen Bereich, den man allerdings auch schon seit Jahren mundtot zu machen bestrebt ist. Aber wenn es eine Sphäre gab (und gibt), die Impulse fürs kritisch Reflexive, mithin für die Belebung eines oppositionellen Bewusstseins zu generieren vermag, war das die reiche und heterogene israelische Kulturszene mit all ihren Kunstbereichen und -angeboten. Das will wohlverstanden sein: Eine teils offene, teils verhohlene Zensurpraxis herrschte in Israel immer schon. Und bei Weitem nicht alles, was diese Kulturszene hervorbringt, ist qualitativ besehen wirklich der Rede wert. Aber es war stets die Größe guter israelischer Kunst in all ihren Bereichen, dem repressiven Ansinnen der Zensur mittels lebendiger öffentlicher Diskurse zu trotzen. Damit soll nun offenbar Schluss sein – die Offenkundigkeit und Brutalität, mit der diese Sphäre nunmehr gedrosselt und ihre Protagonisten eingeschüchtert werden sollen, sind in der Tat neu und erklären zumindest partiell den erregt-verschreckten Aufschrei der Kulturszene.

Die Person Miri Regev ist nur ein Randphänomen. Das wirkliche Problem besteht in der politischen Struktur und der ihr eigenen realen Macht- und Herrschaftskonstellation, die eine Kulturministerin Miri Regev erst eigentlich ermöglicht hat. Es liegt aber nicht minder auch darin, dass viele »im Volk« sich in Miri Regev widergespiegelt finden, die Maßnahmen der Ministerin goutieren, mithin sie und alles, was sie repräsentiert, nicht zuletzt deshalb »lieben« und »demokratisch« absegnen, weil Miri Regev ihnen aus der Seele spricht – und ihr antidemokratisches Ressentiment bedient.

Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 5/2015, erhältlich ab dem 28. August 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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