Melodie & Rhythmus

Kleine Sklaven

30.03.2022 10:59
»Un martyr. Le Marchand de violettes« von Fernand Pelez, Öl auf Leinwand, 1885 Foto: Gemeinfrei

»Un martyr. Le Marchand de violettes« von Fernand Pelez, Öl auf Leinwand, 1885
Foto: Gemeinfrei

Die kapitalistische Industrie beutet seit Jahrhunderten die Arbeitskraft von Kindern aus – in der Literatur erfährt dieser barbarische Zustand bis heute bemerkenswert wenig Beachtung

Arnold Schölzel

In seiner bahnbrechenden »Geschichte der Kindheit« von 1960 wies der Mediävist Philippe Ariès (1914–1984) darauf hin, dass es in der Feudalzeit kaum Darstellungen von Kindern in den bildenden Künsten gab – mit Ausnahme des Jesuskindes. Er schrieb: »Die Vorstellung, das Bild eines Kindes zu bewahren, ob dieses nun am Leben geblieben oder aber im zarten Alter gestorben war, kannte man nicht. Im ersten Falle war die Kindheit nur eine bedeutungslose Übergangszeit, die man nicht im Gedächtnis zu behalten brauchte; im zweiten Falle, das heißt, wenn das Kind gestorben war, fand man nicht, dass dieses kleine Ding, dass allzu früh wieder aus der Welt verschwunden war, des Andenkens würdig sei: Dafür gab es zu viele, die unter den gleichen Schwierigkeiten am Leben erhalten werden mussten!«, so Ariès. »Die Einstellung, dass man mehrere Kinder haben wollte, um wenigstens das eine oder andere am Leben erhalten zu können, war – und blieb noch lange Zeit – tief verwurzelt.« Ariès führte als literarische Zeugnisse Äußerungen Montaignes (1533–1592) und Molières (1622–1673) an, »die für unser heutiges Empfinden erstaunlich sind«. So heißt es in den »Essais« des Philosophen, der sich übrigens dagegen aussprach, in der Kindererziehung irgendeine Form von Gewalt anzuwenden: »Ich habe zwei oder drei Kinder im Säuglingsalter verloren, nicht ohne Bedauern, aber doch ohne Verdruss.« Denn: »Sie sterben mir alle als Säugling weg.« Und Molière merkte laut Ariès zu der etwa achtjährigen Tochter des »eingebildeten Kranken« Argan, die sich aus Angst vor einer Züchtigung tot stellt, an: »Die Kleine zählt nicht.« Es waren Zeiten, in denen etwa die Hälfte der Kinder nicht das 14. Lebensjahr erreichte. …

Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2022, erhältlich ab dem 1. April 2022 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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