Der antikommunistische Irrationalismus der kapitalistischen Vernunft in Kulturindustrie, Politik und Gesellschaft
Susann Witt-Stahl
Eine Heerschar junger Menschen pilgerte ab Ende der 1970er-Jahre aus allen Teilen der westlichen Welt zu dem Guru Bhagwan nach Indien. Waren viele von ihnen wenige Monate zuvor noch in den Metropolen mit linken Organisationen gegen imperialistische Kriege marschiert, schwebten sie nun auf den erleuchteten Pfaden des »Gesegneten« in einen Aschram, den eine großzügige Reedereierbin spendiert hatte. Wer sich dort zum Sannyasin initiieren ließ, für den öffnete sich die Pforte zu dem Weg, auf dem er »Vom Sex zum kosmischen Bewusstsein« (so der Titel von einem der Bestseller Bhagwans) gelangen – und den »Sprung ins Unbekannte, Ungewisse, Geheimnisvolle« machen konnte, wie eine Biografin es ausdrückte. Die Gemeinschaft, in der er landete und in der alle, allein schon durch die rote Kleidung und die Mala (eine Kette aus Holzkugeln, an der Bhagwans Bild hing) am Hals, scheinbar gleich waren, nährte naive Vorstellungen vom »Kommunismus« – eine tragische Verwechslung mit dem bürgerlichen Hedonismus und Eskapismus.
Das deutete sich schon in den Encounter-Gruppentherapie-Sitzungen an: Wenn sich Bhagwan-Anhänger, wie von Krämpfen geplagt, auf dem Boden wälzten, sich schüttelten und schrien – solche Szenen riefen unweigerlich Assoziationen zu Teufelsaustreibungen hervor. Dass ein Feind bekämpft wurde, der schon längst geschlagen war, nämlich »das denkende Subjekt«, wie Adorno einst der Kulturindustrie bescheinigt hatte, ist sicher. Aber ausgetrieben wurde offenbar noch mehr: Wie bei allen Spielarten der von Rudolf Steiners Anthroposophie und Helena Blavatskys Theosophie beeinflussten New-Age-Bewegung klagte auch Bhagwan von seinen Anhängern ein Dasein frei von Marx und Klassenkampf ein – und überhaupt von jeglicher Idee, dass die herrschenden Eigentumsverhältnisse ungerecht oder gar veränderbar sein könnten.
Der Guru huldigte offen dem Kapitalismus, nicht nur durch seine ausgeprägte Leidenschaft für Luxusgüter: Das Lebensmodell, das er auf den Markt gebracht hatte und seinerzeit schon das neoliberale Ego präfigurierte, fügte sich perfekt in die Produktpalette der falsches Bewusstsein produzierenden Kulturindustrie der späten 60er- und frühen 70er-Jahre ein, die Esoterik und Okkultismus massentauglich gegen linke Kunst in Stellung brachte.
Bereits während der 68er-Revolution, die über eine Revolte nicht hinausreichte, war in dem Hippie-Musical »Hair« die Konterrevolution ausgerufen worden: »This is the dawning of the Age of Aquarius«, der Anbruch des von New-Age-Jüngern proklamierten »Wassermannzeitalters«, einer antimaterialistischen Zeitenwende, die eine ausschließlich durch »Geist« geschaffene Realität verhieß.
…
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2021, erhältlich ab dem 19. März 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.