»Onkel Sams Farm in Gefahr« von Karikaturist G.F. Keller in The San Francisco Illustrated Wasp, 1878
Foto: gemeinfrei
Der Kulturkampf der USA gegen China auf den Schlachtfeldern Bildung und Unterhaltungsindustrie verschärft sich in der Coronakrise
Maik Rudolph
In Groschenromanen und Literaturzeitschriften wurde in den USA bereits Ende des 19. Jahrhunderts vor der »gelben Gefahr« gewarnt: Horrende Zukunftsszenarien einer chinesischen Invasion waren gepaart mit Sozialdarwinismus, der sich oftmals in Gewalt entlud. So bildete sich im Oktober 1871 in Los Angeles nach einer bewaffneten Auseinandersetzung unter Chinesen, bei der ein Polizist verletzt und ein Unbeteiligter erschossen wurde, ein Mob von 500 Personen, der 17 chinesische Arbeitsmigranten lynchte. Sinophobie ist kein neues Phänomen. Spätestens mit Beginn des Handelskriegs, der seit zwei Jahren andauert, ist sie wieder zunehmend verbreitet. Die Coronapandemie tut ihr Übriges – die Weichen für einen neuen Kalten Krieg, der bereits im Alltag und in der Kultur tobt, sind gestellt.
Im April 2020 kündigte die US-amerikanische Stiftung Victims of Communism Memorial an, dass sie alle Covid-19-Toten zu den historischen Opfern des Kommunismus zählen werde. Kurz vorher war im Wall Street Journal bereits der »kranke Mann Asiens« zurückgekehrt. Vor allem Menschen asiatischer Herkunft bekommen diese antichinesische Tendenz in den USA zu spüren. Berichte über physische Angriffe und Hatespeech gegen asiatische Amerikaner haben 2020 zugenommen. Ein gebürtiger Hongkonger aus New York, der seit 35 Jahren in den Vereinigten Staaten lebt, wurde im März, als die ersten Coronafälle auftraten, beleidigt und geschubst, weil er keinen Mund-Nasen-Schutz trug – obwohl es noch gar keine Maskenpflicht gab. In Wisconsin wurden mehrere Menschen asiatischer Herkunft in einem Lebensmittelgeschäft belästigt, weil sie Masken trugen und daher in den Augen des Angreifers virusübertragende Chinesen waren. In Seattle wollte ein Lehrer asiatischer Abstammung bei der Polizei rassistische Schikanen zur Anzeige bringen. Die Beamten wiesen ihn mit dem Verweis auf das Sicherheitsbedürfnis der Bewohner der Stadt einfach ab.
Die Anthropologin Adia Benton von der Northwestern University in Illinois führte in einem Interview mit dem Shanghaier Onlinemagazin Sixth Tone ein derart irrationales und diskriminierendes Verhalten auf die Angst vor Einwanderung und die Pathologisierung kultureller Unterschiede zurück. So ist auch die Panikmache mit einem mittlerweile weltweit verbreiteten Video zu verstehen, das eine chinesische Bloggerin beim Verzehr einer Fledermaussuppe zeigt. Es passte nur allzu gut zum »China-Virus«-Superspreaderklischee – obwohl dieses Gericht gar keine chinesische Delikatesse ist, sondern als lokale Spezialität Mikronesiens gilt, wo die Bloggerin es probiert hatte. …
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 1/2021, erhältlich ab dem 18. Dezember 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.