M&R und jW feierten den 100. Geburtstag von Erich Fried mit einer großen Filmschau und Gala
Bei der Veranstaltung am 8. Mai unter dem Titel »Rettung der Welt vor der Wirklichkeit« standten die politische Lyrik und die marxistische Weltanschauung von Erich Fried im Mittelpunkt. In Anlehnung an Che Guevaras Forderung an die Kunst habe Erich Fried den Kampf gegen die Entfremdung des Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft als seine Lebensaufgabe betrachtet, betonte die Chefredakteurin der M&R, Susann Witt-Stahl, in ihrer Eröffnungsrede. Der Schriftsteller Josef Haslinger, der im Namen der Erich Fried Gesellschaft ein Grußwort sprach, hob hervor, dass die Ideologiekritik des österreichischen Dichters »vor allem der politischen Sprache insbesondere der Parteien« gegolten habe.
Auch ehemalige Freunde und Kollegen waren der Einladung von M&R und jW gefolgt und im Studio des Verlags 8. Mai zu der siebenstündigen Hommage an Erich Fried zusammengekommen, die von bis zu 2.000 Zuschauern via Livestream verfolgt wurde. Sein Biograf Gerhard Lampe, Susanne Schüssler vom Verlag Klaus Wagenbach, der Filmemacher Roland Steiner (»Die ganze Welt soll bleiben«) und weitere Mitwirkende rezitierten Gedichte und Prosa, erzählten von ihren Begegnungen mit dem Schriftsteller, präsentierten zum Teil unveröffentlichtes Material und diskutierten über seine Interventionen – etwa gegen Kontinuitäten des Hitlerfaschismus in der BRD-Gesellschaft.
Zu den Höhepunkten des Programms gehörten Auftritte des Pianisten Chris Jarrett und der Liedermacherin Barbara Thalheim mit Trio. Ebenso eine – teilweise live ausgestrahlte – Schaltung zu prominenten Gästen in London, wo Fried nach seiner Flucht aus Wien 1938 bis zu seinem Tod gelebt hatte: Klaus Fried, Filmemacher und jüngster Sohn des Dichters, die Regisseurin Jill Evans, deren Porträt »Exiles: Erich Fried, Austrian Poet« im Auftrag der BBC aus dem Jahr 1988 im Anschluss aufgeführt wurde, und BBC-Produzent Martin Rosenbaum erinnerten an die Bedeutung des Schriftstellers für das damalige britische Publikum. »Fried hat als Künstler furchtlos ausgesprochen, was in der Welt passierte. Wir wollten eine Verbindung zu solchen Leuten herstellen. Das war sehr aufregend und lehrreich, heute gibt es das leider immer weniger«, so Rosenbaum. Moshé Machover, Mitgründer der Israelischen Sozialistischen Organisation Matzpen, der Erich Fried politisch nahestand, beleuchtete im Interview die jüdische Identität des Dichters. Mit seiner »universalistischen, humanistischen Weltanschauung« als Marxist und ehemals vom Naziterror Betroffener habe Fried sich nicht nur allen verfolgten Juden solidarisch verbunden gefühlt, sondern auch in radikaler Opposition zur unterdrückerischen Siedlungs- und Besatzungspolitik Israels gegen die Palästinenser gestanden. Sein Vater sei ein konsequenter Antifaschist gewesen, ergänzte Klaus Fried als Erklärung für die rigorose Abneigung des Dichters gegenüber dem zionistischen Nationalismus.
Ein wichtiges Thema waren auch ideologische Verzerrungen in der Fried-Rezeption – die sich heute besonders in der vom bürgerlichen Feuilleton verbreiteten These niederschlagen, der Schriftsteller habe in den 80er-Jahren eine »deutsche Freundschaft« zu Michael Kühnen unterhalten. In Wahrheit sei es ihm in dem Dialog, den er mit Kühnen pflegte, lediglich darum gegangen, den Werdegang eines Neonazis zu ergründen, erklärte Frieds ehemalige Assistentin Claudia Hahm. Rolf Becker wertete die Behauptung, zwischen Kühnen und Fried habe eine freundschaftliche Verbindung bestanden, als Versuch, den unbequemen Intellektuellen zu diskreditieren. »Dagegen müssen wir uns wehren«, meinte der Schauspieler. »Dafür ist diese Veranstaltung so wichtig.«
red
Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2021, erhältlich ab dem 18. Juni 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.