
Erich Fried
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Rolf Becker darf im Albert Schweitzer Haus in Wien keine Gedichte von Erich Fried vortragen
Unter dem Titel »Texte gegen Krieg und Entfremdung« sollte der Schauspieler Rolf Becker auf Einladung des Vereins Dar al Janub im Albert Schweitzer Haus einen Erich-Fried-Abend gestalten. Die vom evangelischen Diakoniewerk verwaltete Einrichtung im Zentrum von Wien sei offen für Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen, heißt es auf der Website des Zentrums. Doch nachdem die Lesung wegen des Coronalockdowns nicht wie geplant im April stattfinden konnte, wird dem Veranstalter plötzlich ein Ersatztermin verweigert. »Das Albert Schweitzer Haus steht für Veranstaltungen des Vereins Dar al Janub nicht mehr zur Verfügung«, so Daniel Dullnig, Geschäftsführer des Diakoniewerks, auf Nachfrage von M&R. Eine Begründung für diese Entscheidung unterblieb.
Für die 2003 gegründete antirassistische und friedenspolitische Initiative Dar al Janub sind »repressive Interventionen hinter vorgehaltener Hand« nichts Neues: Organisationen, die im Verdacht stünden, propalästinensische Positionen zu vertreten, würden »nach Möglichkeit aus allen öffentlichen Räumen verbannt«, stellt Oliver Hashemizadeh, ein Sprecher des Vereins, fest. Schon 2014 konnte er eine in dem Haus geplante Veranstaltung mit dem Titel »Reclaiming Palestine« nicht abhalten; insbesondere »antideutsche«, transatlantische Rechte, die »inzwischen institutionelle Ämter und akademische Würden tragen«, übten Druck aus. Weil Erich Fried, dessen Vater von der Gestapo ermordet worden war, den Zionismus abgelehnt und die israelische Besatzungspolitik kritisiert hatte, wird in diesen Kreisen bis heute gegen ihn gehetzt. »Fried war Antisemit, und wer seine Propaganda hören will, ist es auch«, twitterte etwa Mena-Watch, ein Leitorgan der »Antideutschen« in Österreich, für das auch Autoren der Zeitschrift Konkret tätig sind.
Für Rolf Becker, der mit dem 1988 verstorbenen Dichter befreundet war, ist eine solche Diffamierung unfassbar: »Dass ausgerechnet in einem Haus, das nach Albert Schweitzer benannt ist, der die israelische Politik unter Netanjahu ganz sicher nicht gutgeheißen hätte, Werke des in Wien geborenen Juden Erich Fried nicht mehr vorgelesen werden dürfen, ist mehr als eine Schande«, meint er. »Die Verantwortlichen sollten sich schämen.«
red
Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2020, erhältlich ab dem 26. Juni 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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