Aitor Garmendia bildet mit drastischem Realismus das Leiden für den Profit des Fleischkapitals ab
Interview: John Lütten
Der baskische Fotograf und bildende Künstler Aitor Garmendia dokumentiert den Alltag in den Mast- und Schlachtanlagen der Tierindustrie. Seine Bilder, die er in Spanien, Italien, Großbritannien und Mexiko aufgenommen hat und deren schonungslose Härte an Zeichnungen und Gemälde von Francisco de Goya erinnert, wurden international prämiert – etwa bei den Tokyo International Foto Awards 2018, den Latin International Photography Awards 2018 und 2021 beim World Press Photo Award. M&R sprach mit dem ehemaligen Tierrechtsaktivisten über seine Motive, seine Methoden, seine Ästhetik und seine Schmerzgrenzen.
Herr Garmendia, Sie zeigen die erbarmungslose Brutalität der Tierindustrie und muten dem Betrachter einiges zu – vermutlich in voller Absicht?
Richtig. Ich will das Leben ausgebeuteter Tiere zeigen und versuche, die Bilder noch so »schön« zu machen, dass sie trotz ihrer Härte angesehen werden. Mein Ziel ist ja, die Gesellschaft mit der Realität zu konfrontieren. Ich will aber nicht einfach schocken, sondern Zusammenhänge beleuchten.
In einer Fotoserie ist zum Beispiel die Tötung eines Pferdes zu sehen, die Sie durch eine Öffnung in der Wand der Betäubungsanlage aufgenommen haben. Wie sind diese Bilder entstanden?
Sie sind in einem Pferde- und Rinderschlachthof in Arriaga im Westen des mexikanischen Bundesstaats Chiapas entstanden. Die Pferde wurden in die Betäubungsbox getrieben, sie waren nervös und ängstlich. Der Boden der Box ist abgesenkt, sodass die Tiere in den Schlachtbereich rutschen, wenn sie betäubt umfallen. Die meisten Pferde stürzten aber schon vorher, weil sie auf dem unebenen Boden nicht stehen konnten. Ich habe zwei Tage auf dem Schlachthof fotografiert. Als ich anfing, informierte mich der Besitzer, dass die Bolzenschusspistole – das Standardwerkzeug zur Betäubung von Kühen und Pferden – erst am nächsten Tag geliefert werde und die improvisierte Tötungsmethode, die man derzeit anwende und die ich zu sehen bekommen würde, nicht legal sei. Den Tieren wurde über zwei Drähte, die an einem Holzstab befestigt waren, Strom durch den Kopf gejagt. Die Aufnahmen waren nervenaufreibend. Ich konnte sehen, wie die Pferde in die Box kamen, ausrutschten und auf ihr Gesicht fielen. Sie versuchten verzweifelt, wieder aufzustehen. Doch sobald sie auf dem Boden lagen, kam der Elektroschock.
Viele Ihrer Fotos zeigen die Gesichter und Mimik der Tiere kurz vor ihrer Tötung. Man sieht Panik, Entsetzen, Flehen – kreatürliche, sehr individuelle Regungen. Was wollen Sie damit erreichen?
Das, was in Schlachthöfen passiert, ist grausam und schwer zu ertragen. Ich versuche darum, Momente festzuhalten, in denen beim Betrachter ein Bewusstsein für unsere Gemeinsamkeiten mit den Tieren entstehen kann. …
In der gedruckten Ausgabe:
Fotoreportage von Aitor Garmendia: Panik, Entsetzen, Flehen
Konfrontation mit dem Grauen in der Schlachtindustrie
Das komplette Interview erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2021, erhältlich ab dem 18. Juni 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.