Die Darstellung der Tiere in der Tonkunst spiegelt nicht nur die Dialektik der Naturbeherrschung – sie offenbart auch unbewusste Sehnsüchte des Menschen
Moshe Zuckermann
Richard Wagners »Götterdämmerung« endet mit einer bemerkenswerten Initiative Brünnhildes: Wissend geworden, dass sie der nunmehr tote Siegfried in seinem Leben nicht verraten hat, befiehlt sie die Errichtung eines Scheiterhaufens am Rheinufer, in dessen loderndem Feuer nicht nur Siegfried verbrannt werden soll. Mehr noch besteigt sie ihr Pferd Grane und springt »mit einem Satz« in die Flammen. Das Tier wird mit in den Tod gerissen. In der Regieanweisung heißt es zuvor: »Brünnhilde gewahrt ihr Ross, welches zwei junge Männer hereinführen. Sie ist ihm entgegengesprungen, fasst es und entzäumt es schnell; dann neigt sie sich traulich zu ihm.« Sie singt: »Grane, mein Ross! / Sei mir gegrüßt! / Weißt du auch, mein Freund, / wohin ich dich führe? / Im Feuer leuchtend, liegt dort dein Herr, / Siegfried, mein seliger Held. / Dem Freunde zu folgen, wieherst du freudig? / Lockt dich zu ihm die lachende Lohe? / Fühl‘ meine Brust auch, wie sie entbrennt; / helles Feuer das Herz mir erfasst, / ihn zu umschlingen, umschlossen von ihm, / in mächtigster Minne vermählt ihm zu sein! / Heiajoho! Grane! / Grüß‘ deinen Herren! / Siegfried! Siegfried! Sieh! / Selig grüßt dich dein Weib!«
Brünnhilde liebt das Tier, »traulich« neigt sie sich zu ihm, »Freund« ist es ihr. Sie spricht zu ihm, stellt eine Vermutung an über sein »freudiges« Gewieher, über seine Hingezogenheit zum im Feuer verkohlenden toten Siegfried, bietet dem Ross gar ihre Brust zum Fühlen an. Ihre »Zuneigung« zu Grane übersteigt ohne Zweifel die Konventionen der Beziehung des Menschen zum Tier. Aber obgleich sie es entzäumt, mithin ihm ein Stück Freiheit von zivilisatorischer Bürde gewährt, führt sie es auch in den Tod. Sie will sterben, weil Siegfried tot ist, und sie nimmt das Tier mit. Warum eigentlich? Vermeintlich, weil das Tier es so will (es wiehert freudig, »dem Freunde zu folgen«; die »lachende Lohe« lockt es zu ihm), aber woher weiß sie das? Sie weiß es nicht. Es ist nichts anderes als Brünnhildes Projektion, die da als Granes Wille ausgegeben wird. Um es zum Gefährten zu machen, wird das Tier vermenscht, aber die Vermenschung findet bereits unter Bedingungen statt, in denen das Tier unterworfen worden ist – die Vermenschung des Tieres ist, so besehen, eine pseudo-versöhnliche Rationalisierung des zwischen Mensch und Tier vorwaltenden Machtund Herrschaftsverhältnisses.
Den kompletten Artikel lesen Sie in der M&R 2/2015, erhältlich ab dem 27. Februar 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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