Der Rapper Tapete lernt die deutschen Bürokraten kennen
Er will nicht mehr darüber reden. Die Geschichte ist durch, der aufgewirbelte Netz- Staub setzt sich langsam, und die Klickzahlen normalisieren sich. Ab hier würde jedes weitere Interview nur noch nach hinten losgehen. Auch sein Anwalt rät: Lieber wieder Klappe halten. Dabei haben mehrere Fernsehsender angefragt. Die gehen jetzt leer aus.
Der Berliner Rapper Tapete steckt in einem Fall, der die Gemüter der Nation verlässlich erhitzt: Arbeitsloser gegen arbeitende Bevölkerung. Als Hauptfiguren ein Musiker, der sich in seinen Songs oft, gern und clever am Thema Mittellosigkeit reibt und auf der anderen Seite das Jobcenter, das sich in seiner Arbeit oft und meist nüchtern an Leistungsbeziehern wie Tapete reibt. Diesmal nicht ganz so nüchtern.
Ausgerechnet mit einem Artikel in der letzten Ausgabe der Melodie&Rhythmus hat es Klick gemacht im Jobcenter. Mehrmals. Einmal aus der Maus, die auf den Tapete-Artikel klickte, und einmal aus dem Tapete-Berater, der dort den Namen eines seiner Schäfchen las – als Klarname des augenscheinlich mordsmäßig erfolgreichen Rappers Tapete. Diagnose: unberechtigter Leistungsbezug.
Womöglich in einem Anfall ohnmächtiger Wut, ließ sich ein Arbeitsvermittler dazu hinreißen, dem leistungsbeziehenden Rapper eine Zeile aus dessen Musik vorzuhalten, in einem offiziellen Jobcenterbrief: »Ich bedank mich jeden Tag bei Vater Staat, dass ich auf seine Kosten leben darf.« Tapete sollte ebenso schriftlich dazu Stellung nehmen und tat das öffentlich, indem er den Brief ins Netz stellte. Ein Akt, auf den heutzutage ein Ritual folgt, das unsere Sprache um den schönen englischen Begriff »Shitstorm« erweitert hat. Im Auge dieses unappetitlichen Orkans sah sich die Pressestelle des Jobcenters Berlin-Mitte zu einer öffentlichen Entschuldigung gezwungen.
Nun hat sich die heiße Luft verflüchtigt. Und auch wenn sie dem Underdog-Satiriker einen ausgezeichneten medialen Coup beschert hat, darf sich Tapete jetzt wieder genauso privat wie andere Leistungsbezieher mit dem Jobcenter auseinandersetzen. Und da gibt es in seinem Fall einiges zu klären aus Sicht der Arbeitsvermittler. Das Entscheidende ist dabei nicht mal mehr das viele Geld, das die Sachbearbeiter in Tapetes musikalischem Schaffen vermuteten. Denn er verdient gar kein Geld, er will ja erst bekannt werden. Und wenn da auch nur ein einziger Euro als Hindernis zwischen seiner Musik und dem potenziellen Hörer steht, verzichtet Tapete lieber auf den Euro als auf den Hörer. Seine Alben stehen kostenlos zum Download. Er gibt Solikonzerte oder kommt gegen Fahrtkosten.
Entscheidender im schriftlichen Battle-Rap mit dem Jobcenter sind jetzt die Fehlzeiten, in denen Tapete nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stand, sondern auf der Bühne. Pikant sind die nötigen Angaben zu Übernachtungskosten. Tapete weiß bei Hunderten Konzerten in den letzten drei Jahren einfach nicht mehr, auf welchen Sofas in welchen WGs er gepennt hat. Er weiß nur eins: Ohne ALG2 hätte seine Kunst nicht das Licht der Welt erblickt. Und ohne Jobcenterbrief hätte er nicht mit einem Schlag so viele Fans gewonnen. Aber den Preis dafür kennt Tapete jetzt auch.
Seinen nächsten legalen Gig hat Tapete in Berlin übrigens beim Auslöser der Affäre: »M&R Live« präsentiert Tapete & Crying Wölf am 3. Mai im Maschinenhaus. Der Künstler übernachtet in seiner eigener Wohnung.
Christoph Schrag
Der Beitrag erscheint in der Melodie&Rhythmus 2/2012, erhältlich ab dem 2. März 2012 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch hier bestellen.