Die Kulturszene hat das kreative Potential jugendlicher Flüchtlinge erkannt
Unter den Flüchtlingen stellen sie eine besonders schutzbedürftige Gruppe dar: Über 30.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind laut Schätzungen des Bundesfachverbands BumF im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen. Theater- und Musikprojekte können den Jugendlichen ein Stück verlorene Heimat und neues Zuhause bieten. Schauspiel, Tanz, Gesang helfen bei der Überwindung von Traumata wie bei der Entfaltung von Visionen. Und das Publikum lernt zu verstehen, was Aufbrechen und was Ankommen heißt. M&R stellt zwei aktuelle Projekte vor.
Deutsche Oper Berlin – »Neuland«
Christoph Kutzer
Es geht uns nicht darum nachzuerzählen, was die jungen Darsteller auf der Flucht erlebt haben«, erklärt Musiktheaterpädagogin Tamara Schmidt. »Ihre Erfahrungen werden sicher mit einfließen. Wir sehen sie aber vor allem als Experten im Aufbrechen, im Ankommen und Visionieren. Ohne ihre Träume wären sie heute nicht hier.« Welche Sprache am Ende in der Bühnen-Gemeinschaft gesprochen wird, welches Sozialgefüge sich herausbildet und wie genau die Musik klingt, wenn das partizipative Projekt »Neuland« am 16. April in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt wird, ist noch offen. Einen Rahmen geben die Komponisten Ketan und Vivian Bhatti sowie der Regisseur Martin G. Berger nur in Form von groben Richtlinien vor, die ein dramaturgisches Zerfasern verhindern sollen. »Vor allem entsteht das Stück aus workshopartigen Proben«, so Schmidt. Bei den Aufführungen soll das Publikum dann durch »Neuland« gelotst werden und auf seinem Weg eine Ahnung davon bekommen, wie es ist, sich fremd zu fühlen, weil sich das vertraute Opern-Terrain auf ungewohnte Weise verändert hat. …
Hajusom – freies Spiel der Perspektiven
Martin Mutschler
Es ist 16 Jahre her, dass ein Team von Theaterschaffenden um die Regisseurinnen Ella Huck und Dorothea Reinicke in Hamburg ein Projekt mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auf die Beine stellte. Daraus ist ein im Kern festes Ensemble entstanden, zu dem ebenso Geflüchtete gehören wie in Deutschland aufgewachsene People of Color. Pluralität gehört zu den obersten Gebote des Vereins Hajusom, dessen Performances inzwischen in ganz Deutschland zu Gastspielen eingeladen werden.
Alle Teilnehmenden sind an den künstlerischen Prozessen von Anfang an beteiligt. Der Name des transnationalen Projekts steht sinnbildlich für diese Ausrichtung: Hajusom setzt sich aus den Vornamen der Performer Hatice, Jusef und Omid aus drei verschiedenen Ländern zusammen. Das visionäre Potenzial sieht Dorothea Reinicke darin, dass die Performances bedingen, »was allgemein für jeden Menschen in der globalisierten Welt wichtig ist: dass man sich begegnet, sich zuhört und geduldig ist.« Nicht zuletzt löst sich durch die gewählte Form mitunter sogar die Grenze zum Publikum auf: Häufig komme es vor, dass nach dem Schlussapplaus alle miteinander ins Gespräch finden, weil die Zuschauer ohnehin längst nicht mehr auf ihren Plätzen sitzen. …
Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 1/2016, erhältlich ab dem 30. Dezember 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.