Von der Straße in die Arena – die Berliner Musikerin Elen
Christoph Schrag
Elen spielt gern am Alex. Sie steigt zuhause im Wedding in die U8 und fährt durch. Im Bahnhof holt sie sich ´nen Kaffee mit dem eigenen Becher und balanciert den dann auf dem Gitarrenkoffer. In der anderen Hand den kleinen Verstärker und den ramponierten Mikroständer unterm Arm. Im Rucksack stecken Mikro, Kabel und ihre CDs. Bevor sie sich die Gitarre umhängt und loslegt, stopft sie eine Häkelnadel unten in den Mikroständer. Die Schraube fehlt.
»Mittlerweile ist das für mich ein Job. Ich geh raus und mach das. Wenn möglich, jeden Tag.« Etwa 45 Minuten spielt Elen, macht dann Pause, quatscht mit den Leuten und fängt wieder an. Fünf bis sechs Stunden kann das gehen. Klar, die Lieder wiederholen sich auch. Die Zeit, sich Neues auszudenken, wird immer knapper, seit so viele sich für sie interessieren: Seit »Voice Of Germany«, seit sie ihr Album mit Crowdfunding finanziert, produziert und auf eigenem Label rausgebracht hat und seit Marius Müller-Westernhagen sie gesehen hat – sie ihn übrigens nicht. Dabei muss er vor ihrem Häkelnadelmikroständer gestanden haben. Er hat schließlich eine CD gekauft. Das hat Elen gar nicht registriert. »Ist manchmal so«, sagt sie. Aber er hat ja angerufen und ihr vom Fleck weg einen Platz im Vorprogramm seines Konzerts in der Mercedes-Benz-Arena im Oktober angeboten.
»Zu sagen, das ist was Besonderes, reicht dafür gar nicht aus. Das ist einfach nur krass. Mein Vater und ich haben immer zusammen Westernhagen gesungen.« Elen ist Wendekind. Jahrgang’89, Marzahn. Im Kindergarten lief aber nicht Westernhagen, sondern Wolfgang Petry. Rauf und runter. Das weiß Elen heute noch. Abneigung vorprogrammiert – da kann olle Wolle nix für. Die Eltern zieht’s nach Weißensee. Elen bricht die Schule ab nach der elften Klasse. Nur die Musik konnte sie noch mal zum Studieren bewegen. Zwei Semester Akademie Deutsche POP. Danach war das Geld von der Jugendweihe aufgebraucht. Immerhin: Einer ihrer Lehrer von damals spielt jetzt in ihrer Band. Elen überzeugt eben und hängt sich dahinter. Glück gehört auch dazu, sagt sie.
Aber gleich zweimal entdeckt werden? Vor vier Jahren an ihrem anderen Spielort, Schönhauser Allee: Ein Typ mit Rollkoffer zieht selbigen an ihrer Performance vorbei und hält inne. Ob Elen nicht Lust hätte, bei diesem neuen Casting-Format mitzumachen. Ja, hat sie, findet das alles auch ganz spannend und fliegt dann raus aus »The Voice.« Gerade noch rechtzeitig, findet Elen heute, kurz vor dem Casting- Stempel. Danach nehmen einen die Leute als Künstler nicht mehr ernst. Aber die mediale Aufmerksamkeit riss nicht ab. Berliner Straßenmusikerin mit amerikanischer Soulstimme. Ihre Ausstrahlung verspricht Freiheit und Leben. Geflochtene Rastazöpfe und etwas Schmuck stecken zwischen den langen Haaren. Aus dem fröhlichen Gesicht lugt kindliches Vergnügen hervor. Ihr Sound klingt ehrlich, handgemacht, weltläufig. Und ihre Stimme kann Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause stoppen, sie sogar dazu bringen, sich auf den Boden zu setzen. Alex, Schönhauser – egal. Häkelnadel in den Mikroständer und los. Es ist eben ihr Job, und sie mag ihn.
Elen s/t
Inkubator
www.elenofficial.com
Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 6/2015, erhältlich ab dem 30. Oktober 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.