Melodie & Rhythmus

Große Stimme

28.10.2014 14:59

Esther Bejarano
Foto: Bernd Settnik

Esther Bejarano wird 90 Jahre alt
André Scheer

Wer sie erlebt, wird es kaum glauben: Esther Bejarano feiert am 15. Dezember ihren 90. Geburtstag. Die kleine Frau mit der großartigen Stimme ist aus der antifaschistischen Kulturszene dieses Landes einfach nicht wegzudenken.

Als Jüdin wurde die am 15. Dezember 1924 in Saarlouis geborene Esther unter den Hitler-Faschisten wie Millionen andere Menschen Opfer der rassistischen Verfolgungen. 1943 verschleppten sie die Nazis in das Vernichtungslager Auschwitz. Ihr Leben konnte sie retten, weil sie sich bei der Gründung eines Mädchenorchesters, das die Nazi-Schergen unterhalten sollte, als Akkordeonspielerin meldete, obwohl sie dieses Instrument nicht beherrschte. Sie hatte nun mit ihren Leidensgefährtinnen die Aufgabe, Musik zu machen, während die Züge mit immer neuen Opfern ankamen. Erst 1945 konnte sie auf einem der von den Nazis organisierten Todesmärsche fliehen und erlebte am 3. Mai die Befreiung durch die sowjetische Armee.

Mit ihrem Mann Nissim zog Esther Bejarano nach Israel. Doch die Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch die israelische Armee stieß das Ehepaar ab. Um zu verhindern, dass sich Nissim als Soldat an den Verbrechen beteiligen musste, kehrten sie nach Deutschland zurück. In Hamburg eröffnete Esther eine Boutique. Als die NPD eines Tages vor ihrem Geschäft einen Infostand aufbaute, war das für die entsetzte Frau der Wendepunkt. Sie engagierte sich fortan im Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA e. V.) und gründete mit ihren Kindern Edna und Joram die Gruppe Coincidence, mit der sie jüdische Lieder aus den Ghettos und dem antifaschistischen Widerstand spielte. In den vergangenen Jahren wagte sie schließlich ein spannendes Experiment. Gemeinsam mit den Rappern der Microphone Mafia arrangiert sie ihre Lieder bei Konzerten in neuem Gewand. Hoffentlich noch sehr lange.

Der Beitrag erscheint in der M&R 6/2014, erhältlich ab dem 31. Oktober 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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