Melodie & Rhythmus

»Die Hip-Hop-Generation erhebt sich«

24.02.2015 14:48

Black Power
Foto: Elizabeth Shafiroff / Reuters

Das Rap-Duo Dead Prez über die Renaissance von Black Power in den USA

Dead PrezUnter den Unterstützern der Proteste gegen rassistische Polizeigewalt in den USA finden sich zahlreiche Künstler wie der Schauspieler Samuel L. Jackson, der Filmemacher Spike Lee und auch Dead Prez. Das Hip-Hop-Duo ist nicht nur ein Rap-Projekt – die beiden Musiker stic. man und M-1 haben sich seit der Gründung 1996 auch manifest politisch positioniert und engagiert. M&R-Redakteur Christian Stache sprach mit stic.man über die neue Bewegung der Schwarzen, Hip-Hop als »revolutionary coaching« und die miserable Performance von US-Präsident Barack Obama.

Vergangenen Oktober sind Sie zusammen mit Talib Kweli, Chuck D (Public Enemy) und vielen anderen Künstlern beim Konzert »Hip Hop 4 Justice« am »Wochenende des Protestes« in Ferguson aufgetreten, zu dem zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen aufgerufen hatten. Warum und wie unterstützen Sie den Widerstand der Schwarzen-Bewegung gegen Diskriminierung?

Wir unterstützen unsere Communities und die Bewegungen für Gerechtigkeit und Freiheit, seitdem wir politisches Bewusstsein erlangt haben. Daher ist es für uns selbstverständlich, dass wir uns solidarisch verhalten, wenn Jugendliche gegen die unerträglichen Zustände in diesem Land, die es seit so vielen, vielen Jahren gibt, auf die Straße gehen und Gerechtigkeit fordern.

Die Polizeigewalt und Morde an jungen Schwarzen wie Michael Brown, Eric Garner oder Trayvon Martin sind offenbar die Anlässe für die schweren Unruhen. Was aber sind die sozialen Ursachen?

Polizeiterror und -gewalt gegen die schwarze Community und insbesondere gegen unbewaffnete Menschen war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Jahrhunderte der systematischen Unterdrückung durch die Regierung, der systematischen Ausbeutung im Kapitalismus und des Rassismus in der Gesellschaft haben Schwarze marginalisiert. Die Erfahrungen mit diesen sozialen Phänomenen haben den Sinn der Menschen für Gerechtigkeit wieder geschärft. Wir sehen heute, wie sich die Hip-Hop-Generation mehr als jemals zuvor erhebt.

1998 haben Sie den Song »Police State« veröffentlicht. Was macht die USA heute zu einem »Polizeistaat«?

Für mich geht es nicht um einen Kampf »Auge um Auge, Zahn um Zahn« mit der Polizei. Wir wollen Menschenrechte, die unsere Communities stärken. Mit dem Song wollten wir auf die Brutalität und den Terror der Polizei aufmerksam machen. Die Polizei hat in kapitalistischen Gesellschaften eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Sie soll die Trennung von Proletariat und Bourgeoisie aufrechterhalten, die Ausbeutung sicherstellen, das Privateigentum schützen und Gesetze durchsetzen, die oft rassistisch, diskriminierend und unterdrückend sind. Weil die Exekutiv- und Justizbehörden die Grenze zwischen oben und unten verteidigen, entzünden sich viele soziale Kämpfe an ihnen. In einem Polizeistaat werden Gesetze und Maßnahmen beschlossen, die ungerecht sind, und im Moment sehen wir mit an, dass das Töten unbewaffneter Kinder durch die Gesetzeshüter wie eine Epidemie um sich greift. Daher ist der Track heute genauso aktuell wie damals.

In einem Interview am Rande des erwähnten »Hip Hop 4 Justice«-Konzerts sagte Ihr Partner M-1, dass es nicht um Rap oder Hip-Hop gehe, sondern um »revolutionary coaching«. Was meinen Sie damit?

»Revolutionary« meint, etwas von Grund auf zu verändern. Wenn die Verhältnisse schrecklich und ungerecht sind, heißt es, dass wir sie schön und gerecht machen wollen. Dies zu »coachen«, zu unterrichten, bedeutet, Menschen zu ermutigen, an Werten wie Gerechtigkeit und Gleichheit festzuhalten und für ihre Verwirklichung einzutreten. Insofern ist ein »revolutionary coaching« das genaue Gegenteil eines Hip-Hop-Konzerts, bei dem nur geprahlt wird, wie viel Geld man gemacht hat.

Sehen Sie sich in der Tradition von Curtis Mayfield und anderen Künstlern, die für die Belange der Schwarzen eingetreten sind?

Das wäre eine große Ehre. Aber sie sind Künstler, zu denen wir aufschauen. Menschen wie Mayfield, KRS-One, Public Enemy und viele andere hatten die Gabe, die wesentlichen Dinge beim Namen zu nennen. Wir bemühen uns, haben ihr künstlerisches Level aber noch nicht erreicht.

Zwischen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den 1950er- und 1960er-Jahren und den gegenwärtigen Protesten gibt es eine Reihe von Ähnlichkeiten. Worin besteht Ihrer Meinung nach die Besonderheit der aktuellen Bewegung?

Die Bürgerrechtsbewegung hat sich maßgeblich auf Veränderungen der Politik in den USA konzentriert. Sie hat einige Erfolge gegen rassistische Diskriminierung und Segregation erzielt. Aber sie hat die innere Mechanik des Systems nicht angegriffen, wie die Ausbeutung der Arbeiter. Die Gesetze in den USA zu verändern ist ohne Zweifel wichtig. Aber heute wollen wir das Bewusstsein der Menschen auf dem ganzen Planeten umkrempeln. Wir heben den Kampf auf die Ebene der Rechte für alle Menschen, wie Malcolm X es forderte.

Im Jahr 2008 haben Sie in »Politrikkks« gerappt: »Who you gonna vote for / You got a black man running / But I wonder if he get in / Who he gonna open up the door for? […] Even if Obama wins / Uncle Sam ain’t my friend.« Ironischerweise ist Barack Obama ein Jahr später zum ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt geworden. Bedeutet es einen Unterschied für die schwarze Community, dass jetzt ein Schwarzer im Weißen Haus sitzt?

Obamas Präsidentschaft ist ein Paradoxon. Für viele ist er eine Inspiration. Es gelingt ihm, insbesondere über die kleinen Dinge eine Verbindung zu den Menschen herzustellen, die von unserem politischen System entrechtet worden sind. Selbstverständlich bringt er als Schwarzer auch andere Erfahrungen mit als alle seine Vorgänger. Die Kehrseite ist, dass die USA immer noch der Weltpolizist, der Ausbeuter der Welt sind, und Obama ist der Chef. Es ist, als ob er ein Manager von McDonald’s wäre, der mit einem Lächeln für gesundes Essen wirbt. Am Ende lässt er doch Burger und Pommes verkaufen. Er setzt also fort, was bereits vorhanden war. Er stärkt Israel den Rücken, lässt Bomben auf andere Staaten regnen. Für diese Politik ist er jetzt das Gesicht.

Wie hat Obama auf die Proteste auf der Straße reagiert?

Er hat die Polizeibrutalität in unseren Communities vereinzelt angesprochen, ein paar Komitees einberufen, verschiedene Untersuchungen anberaumt und so weiter. Zum Beispiel soll in Zukunft dokumentiert werden, welcher Herkunft ein Mensch ist, der von der Polizei angehalten und durchsucht wird. Aber diese Initiativen sind natürlich unzureichend, gemessen an den Forderungen der Bewegung für sofortige Gerechtigkeit.

In »We Need a Revolution« rappen Sie: »The system ain’t gonna change unless we make it change.« Was ist also jetzt die Aufgabe der Künstler, die, wie Sie sagen, »revolutionary but gangsta« sind?

Wir leben in einer »Gangsta«-Welt. »Revolutionary but gangsta« bedeutet, dass man dies erkennen soll, um die Wirklichkeit grundlegend zu verändern. Die primäre Aufgabe der Musiker ist es dabei, hochwertige Musik zu machen und daran zu arbeiten, die eigenen Kunstfertigkeiten zu verbessern. Wenn du rappst, dann arbeite an deinen Skills. Sei ein Künstler. Werde der Michael Jordan deiner Kunst. Und dann spiele im Team mit deiner Community. Informiere dich darüber, was passiert, und lass deine Kunst eine Plattform sein. Berichte über die Tragödien und benenne die Herausforderungen. Denn wenn wir es nicht machen, wer macht es dann? Aber stelle auch sicher, dass deine Kunst, ich wa- ge es zu sagen, wirklich inspiriert. Letztlich ist es egal, was du tust. Wenn du Barbier bist, dann musst du mit deinen Kunden mit Liebe kommunizieren und sie für die Ver- änderungen gewinnen, die wir anstreben und für die wir Opfer bringen. Nur so wird die Welt ein besserer Ort.

Das Interview lesen Sie in der M&R 2/2015, erhältlich ab dem 27. Februar 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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