Melodie & Rhythmus

»Keep On Keepin’ On«

26.04.2016 15:49
Polizeigewalt gegen streikende Bergleute der Zeche Daw Mill in Warwickshire am 27. März 1984 Foto: Picture Alliance / DPA

Polizeigewalt gegen streikende Bergleute der Zeche Daw Mill in Warwickshire am 27. März 1984
Foto: Picture Alliance / DPA

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Vom revolutionären Höhenflug zur Tragödie:
Die Redskins verschrieben sich dem Klassenkampf in Großbritannien und gingen mit dem großen Bergarbeiterstreik unter

Maciej Zurowski

Underground-Bands sind kriminelle Energieverschwender. Wenn sie etwas Wichtiges zu sagen haben, warum benutzen sie nicht jedes Podium, das ihnen zur Verfügung steht?« – So brachte Redskins-Bandleader Chris Dean den Gegensatz zwischen anarchistisch und marxistisch gesinnten Bands der Post-Punk-Ära auf den Punkt. Während Crass und Konsorten sich auf selbstverwalteten Bauernhöfen dem System zu entziehen suchten, wollten die Redskins mittendrin sein – in der Großstadt, in der Gewerkschaft, im Klassenkampf –, und sie wollten ihre Botschaft mithilfe der größtmöglichen Labels in die Charts bringen.

Auch das eigene Lager fand Dean entwicklungsbedürftig: Statt anstrengendem Stoff vom Schlage Gang of Four oder Scritti Politti, so fand er, bräuchten die Massen Sozialismus, den man tanzen und mitsingen kann – vor allem aber solchen, der Hoffnung spendet. Gemeinsam mit Seelenverwandten wie The Style Council und Dexys Midnight Runners suchten Dean und Co. nach Gegenentwürfen zum vorherrschenden »Miserabilismus«. » Lean On Me«, Deans sublime Hymne an die Solidarität unter Arbeitern, gab die Richtung vor: Im US-Soul der 60er- und frühen 70er-Jahre fanden die Redskins die benötigte Erbaulichkeit, die sie mit der Atemlosigkeit des Punk kombinierten.

Hervorgegangen aus der Yorker Punkband No Swastikas, entstanden die Redskins im Jahr 1983 quasi am Reißbrett. Als Journalist beim New Musical Express war Dean der Einzige, der die nach den Southall-Krawallen 1981 (damals war es zu schweren Ausschreitungen zwischen den Besuchern eines Skinhead-Konzerts und einigen der vorwiegend asiatischen Bewohner des Londoner Bezirks gekommen) abflauende Oi!-Musikszene noch kritisch-wohlwollend kommentierte. Als die Neonazi-Band Skrewdriver sich der übrig gebliebenen Skins annahm, wollte er dagegenhalten: Um den linken Rand der Skinhead-Kultur zu stärken, gaben sich die programmatisch betitelten Redskins ein dementsprechendes Image. Skins, Soul und Sozialismus – das erschien manchen Kritikern zu schön, um wahr zu sein.

Wer die Redskins rückblickend als Studenten-Band abtut, betreibt allerdings argen Geschichtsrevisionismus. Vor allem im Norden Englands und in Schottland scharte sich schon bald eine ebenso authentische wie rege Skinhead-Szene um die Gruppe, die mit Fanzines wie Hard as Nails und Spy Kids der Bomberjacken-Fraktion smarten Stil und smarte Politik entgegenhielt. In ihrer Wahlheimat London spielten die Redskins für eine Koalition jener, die trotz Thatcher und Neoliberalismus Kampfgeist zeigten: Dockarbeiter und Hausbesetzer, Kommunisten und Sozialisten, »Red Action«-Skins und -Punks.

Attackiert wurden sie dafür von solchen, die bereits verloren hatten: Bei einem Konzert im Londoner Norden konnte ein National-Front-Stoßtrupp noch erfolgreich abgewehrt werden, als Labour-Stadtratsabgeordnete der alten Schule zu den Baseballschlägern griffen. Bei einem »Jobs for Change«-Konzert in den Jubilee Gardens dagegen – organisiert vom »roten« Vorsitzenden der obersten Verwaltungsbehörde Londons, Ken Livingstone – setzte es Prügel für die Band und Teile des Publikums. Auf einen hundert Mann starken Mob, der mit »Sieg heil!«-Gebrüll die Bühne stürmte, waren die Besucher des bewusst familienfreundlich gehaltenen Events nicht gefasst.

Angriffe verbaler Art erlitt die Band von Musikkritikern wie Simon Reynolds. Der »Retromania«-Autor beschuldigte die Redskins damals, eine eindimensionale Version des Soul zu präsentieren, ihn gleichsam auf Curtis Mayfields ekstatisches »Move On Up« zu reduzieren. Soul also, der immer nur affirmativ und optimistisch ist, der pausenlos Würde, Respekt und Brüderlichkeit beschwört und niemals Zweifel oder Trauer – und schon gar keinen Blues – zulässt.

Sicherlich waren die Redskins in dieser Hinsicht auch von der politischen Gruppierung geprägt, der zwei Bandmitglieder angehörten: Die trotzkistische Socialist Workers Party (SWP) war berüchtigt dafür, ihre theoretisch oft dürftig geschulten Fußsoldaten in einen Zustand permanenter Aufgeregtheit zu peitschen und von einer Demonstration zur nächsten zu hetzen, die freilich immer »die bisher größte und wichtigste« war. Spontaneität und Kampfgeist waren alles. Was auf der Strecke blieb, waren Selbstkritik und die lange Sicht. »Keep On Keepin’ On«, sangen die Redskins: Immer weitermachen, Genossen!

Ironischerweise aber hatte Tony Cliff, SWP-Parteiführer auf Lebenszeit, gerade dann einen großen »Downturn« – einen Abschwung des Klassenkampfs – prophezeit, als die Yorkshire-Sektion der Bergarbeitergewerkschaft den Streik ausrief. Was auf den März 1984 folgte, war der bedeutendste und erbittertste Arbeitskampf Großbritanniens seit 1926. Nicht nur die gesamte Arbeiterbewegung des Landes, sondern komplette Gemeinden nahmen daran teil – ein schlafloses, kräftezehrendes Jahr lang.

Als Cliff den anbrechenden Streik noch im April 1984 als »Wohltätigkeitvereine« abtat, setzten sich die SWP-Parteiverbände vor Ort ohne sein Zutun in Bewegung. Und auch als das Parteiorgan einige Monate später verlautbarte, dass die Arbeiterklasse sich bereits »im Jahr 1927« befände – den Streik also schon verloren hatte –, waren SWP-Basisaktivisten noch immer mit Leidenschaft bei der Sache.

Auch für die Redskins sollte der Streik zur psychologischen Zerreißprobe werden. In ihrem Terminkalender der Jahre 1984–85 findet sich keine Verschnaufpause: zahllose Benefizkonzerte für die Streikenden, unterbrochen lediglich von Konzerten zugunsten der Anti-Apartheid-Bewegung. Bei einem Auftritt in der Musiksendung The Tube ließen sie während »Keep On Keepin’ On« unangekündigt einen streikenden Bergarbeiter ans Mikrofon. Der politisch »neutrale« Sender Channel 4 drehte ihm bei seiner Kurzansprache den Ton ab.

Die Militanz der Redskins war echt und kam ohne Rebellen-Pose aus. Dass Chris Dean trotz seines nahezu selbstlosen Einsatzes in Konflikt zu seinem politischen Über-Ich geriet, mag verblüffen: »Die Widersprüche werden immer akuter«, klagte er in einem Interview; schließlich könne er bei so vielen Konzerten nicht an genügend Zeitungsverkaufsaktionen teilnehmen.

Doch es war nicht vorrangig Deans Zerrissenheit zwischen Popwelt und Aktivismus, die schließlich zur Auflösung der Band führte. Wie unzählige andere war auch er nach dem Scheitern des großen Streiks sprichwörtlich ausgebrannt. Dass seine Parteiführung nie an einen Sieg geglaubt, sondern den Streik primär als Nährboden zur Anwerbung neuer Mitglieder betrachtet hatte, machte keinen Unterschied für Basisaktivisten, die in diesem langen Jahr alles gegeben hatten. Den meisten war klar, dass es sich um eine historische Niederlage handelte. Und politische Musik bedeute nur dann etwas, bemerkte Dean bitter, wenn sie reale Kämpfe begleite. »Immer weitermachen« – das ginge jetzt nicht mehr.

Die Songkollektion »Neither Washington Nor Moscow«, die die Redskins 1986 der Nachwelt hinterließen, war dennoch eines der wenigen Meisterwerke der Skinhead-Musik. Mag sein, dass es keinen Blues zuließ – dafür vermittelte es den Gospel des Soul, den beseelten Glauben an jedes gesungene Wort, wie kaum ein anderes Zeitdokument. Wenig später tauchte Dean ab – wohin, weiß man bis heute nicht so recht, doch Gerüchten zufolge lebt er mit seiner Mutter in York und scheut die Außenwelt. Dass er, wie viele andere, nicht imstande war, seine Vision einer besseren Welt über den strategischen Rückschlag hinaus beizubehalten, ist eine Tragödie.

Den Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 3/2016, erhältlich ab dem 29. April 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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