Der irische Historiker Rory Archer verteidigt den Turbofolk
Interview: Zoran Sergievski
Chauvinismus, Sexismus, tumbe Beats, Ethno-Klänge. So sehen viele den Turbofolk. Der Stil entstand in Jugoslawien und wurde ab 1995 – also nach den Kroatien- und Bosnienkriegen – richtig groß. M&R bat Rory Archer von der Universität Graz, der diese Musikrichtung erforscht hat, um eine Charakterisierung.
Im November jährt sich das Ende des Bosnienkrieges zum 20. Mal. Wie hat sich der Wandel zum Kapitalismus seither auf das Kulturleben der Region ausgewirkt?
Die letzten 20 Jahre haben massive Verwerfungen im kulturellen Leben Ex-Jugoslawiens mit sich gebracht. Krieg und Staatsauflösung gingen einher mit einem Systemwechsel. Das neue System drängt den Staat immer mehr zurück. Heutzutage ist es extrem schwer, als Kulturarbeiter seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Andere Hürden hingegen sind geschrumpft. So ist das Reisen in und zwischen ehemals jugoslawischen Staaten einfacher. Wenn Künstler immobil sind, liegt das eher an ökonomischen denn geopolitischen Gründen.
Sind Bands wie Hladno Pivo und Dubioza Kolektiv eigentlich exotische Clowns oder tapfere Kämpfer?
Ich glaube, Kategorien wie »Clowns« und »Kämpfer« greifen hier nicht. Das Potenzial von Bands wie Dubioza liegt ja genau darin, dass sie Humor als Medium für ernste politische und soziale Botschaften zu nutzen wissen. Rock und Reggae haben kein Monopol auf ironische Sozialkritik gepachtet, das kann aus verschiedensten Musikrichtungen kommen.
Obgleich die Verkaufszahlen zurückgehen, ist doch der Turbofolk in Ex-Jugoslawien und der Diaspora weiterhin recht populär. Wie erklärt sich der Erfolg dieses auf derben PC-Beats und volkstümlichem Geträller basierenden Genres?
Turbofolk ist eine sehr dynamische und vielfältige Musikkategorie. Ich glaube daher nicht, dass das Wort »Genre« hier passt. »Turbofolk« ist ein Etikett, mit dem Folkpop gewöhnlich als pathologisch oder negativ gebrandmarkt wird. Turbofolk (oder »Folkpop«, »neue Volksmusik«, »narodna muzika« – wie auch immer man es nennen mag) ist in Ex-Jugoslawien und der Diaspora so populär, wie es der Schlager in Deutschland und Österreich ist. Es gibt vergleichbare Stile in Griechenland, der Türkei und anderen Balkanländern.
Das komplette Interview lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 6/2015, erhältlich ab dem 30. Oktober 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.