Parfum Brutal äußern sich orchestral zu herbstlichen und anderen Gefühlen, aber auch zu Kapitalismus und Globalisierung
Texte: Christoph Schrag, Foto: Bruno Bauch
Ihre besten Ideen hat Kassandra Papak auf dem Fahrrad. Da denkt sie immer, dass keiner sie hört, wenn sie laut vor sich hersingt. Nur wenn sie dann drüber nachdenkt, zum Beispiel, weil sie gefragt wird, wo sie denn die besten Ideen hat, dann wird sie ein bisschen rot im Gesicht und sagt: »Das könnte ganz schön bescheuert aussehen für Autofahrer um mich rum.«
Das kann ihr aber herzlich egal sein, würde wohl jeder sagen, der hört, was aus den Ideen wird, die Kassandra sich so herbeiradelt. Es sind barocke Popsongs, die sich um ihre schöne Stimme herumschnörkeln, sich ausbreiten, sich Zeit lassen, länger jedenfalls als es einem durchschnittliche Radiosender zumuten. Bei Parfum Brutal müssten sie eine Ausnahme machen. Die Songs halten ihre Hörer auf Trab. Die vielen Instrumente schaukeln sich gegenseitig hoch, unterbrechen einander, erzählen eine Geschichte aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und halten inne, um dann mit neuer Energie loszulegen.
Ein ganzes Orchester könnte bei einer Aufführung des neues Albums »Vast Mountains Round Balea Lake« beschäftigt werden. Bläser, Streicher, Drums und Percussion, Piano und verschiedene Kleingeräte kommen zum Einsatz. Doch ist die Band seit einiger Zeit nur noch zu dritt. Alle spielen mehrere Instrumente. Das können sie, haben allesamt studiert. Vier Jahre lang am Konservatorium in Arnheim. So etwas schweißt zusammen. Bei Parfum Brutal immerhin so sehr, dass es die Band nun schon seit fünf Jahren gibt, obwohl jeder ihrer Mitglieder in einer anderen Stadt wohnt. Philip Mancarella und Arno Bauch in Köln und Dortmund, und Kassandra Papak wieder in Berlin, ihrer Heimat. In ihrer Mailsignatur bewahrt sie noch die ausländische Handynummer aus Studienzeiten auf – ein kleines Zeichen der Sehnsucht nach den gar nicht so fernen Niederlanden.
»What is the place called home?«, fragt sich Kassandra in einem Song. »Berlin ist schon mein Zuhause, aber wenn man mal länger woanders gewohnt hat, dann wird man das nicht mehr los«, sagt sie dazu. Singen würde sie es so nicht. Obwohl sie konkrete Themen abarbeitet in ihren Songs – Emotionales wie Herbst oder eben Heimat, oder auch Klobiges wie Kapitalismus und Globalisierung – halten sich ihre Texte immer elegant im Zwielicht der Widersprüchlichkeit auf. Da, wo es spannend wird und uneindeutig bleibt. Der Widerspruch zwischen zart und hart steckt schließlich schon im Namen, den sich die Band ganz zu Beginn gab: Parfum Brutal. Geklaut vom Etikett eines Kölnisch Wassers aus Polen, an dem sich wohl auch hin und wieder harte Alkoholiker verdingen.
Jetzt, da Parfum Brutal ihr zweites Album auf dem eigenen Label »Woda Kolonska« (polnisch für Kölnisch Wasser) herausgegeben und es auf mehrere Konzerten vorgestellt haben, dürfte langsam schon wieder die Arbeit an neuen Songs und an den diversen anderen Projekten der einzelnen Musiker losgehen. Kassandra spielt etwa noch mit ihrem »Pirate Bride« und bei den recht umtriebigen »I‘m Not A Band«.
Wenn Sie also in Berlin oder dem Ruhrgebiet mit dem Auto herumfahren und zufällig an einer jungen Radfahrerin vorbeikommen, die laut vor sich hinsingt, dann kurbeln Sie schnell das Fenster runter. Es könnte sein, dass Ihnen Kassandra Papak gerade live vom Fahrrad einen Vorgeschmack auf das nächste Parfum Brutal Album gibt.
Parfum Brutal Vast Mountains Round Balea Lake
Woda Kolonska
www.parfumbrutal.com
Der Artikel erscheint in der Melodie&Rhythmus 6/2012, erhältlich ab dem 9. November 2012 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch hier bestellen.
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