Internationales Literaturfestival Odessa
Ein Kommentar von Susann Witt-Stahl
Die Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik wirbt für das Internationale Literaturfestival Odessa (ILO). Die Idee für die Veranstaltung, die vom 1. bis 4. Oktober stattfindet, sei in einem Gespräch des Stiftungsvorstands mit dem ukrainischen Schriftsteller Andrej Kurkow entwickelt worden, ist in einer Pressemitteilung zu lesen. Als Referenz werden berühmte Literaten aus der Stadt am Schwarzen Meer angeführt – u.a. die beiden sowjetischen Prawda-Satiriker Ilja Ilf und Jewgeni Petrow.
Die Namensliste der Schriftsteller, die das Gastgeberland auf dem ILO vertreten, offenbart jedoch: kein kritischer oppositioneller Literat weit und breit – geschweige denn ein linker. Stattdessen dominieren stramme Nationalisten das Programm. Allen voran die Journalistin Irena Karpa, Urheberin der berüchtigten »Vatnik«-Cartoons, in denen die Angehörigen der russischen Arbeiterklasse in der Ostukraine als eine Horde brutaler Triebwesen dargestellt werden. Karpa gehört zu den Kriegstreibern, die am lautesten NATO-Militärhilfe für eine Eskalation mit Russland fordern. Mit von der Partie auch Jurij Andruchowytsch, 2004 Mitunterzeichner eines Hass- Pamphlets gegen den »absurden Status« des »Kriminellen-Slang« (gemeint war Russisch) als zweite staatlich anerkannte Sprache der Ukraine (nach heftiger Kritik hat Andruchowytsch seine Aussagen revidiert). Vor diesem Hintergrund ist die Ankündigung der ILO-Veranstalter, »der starken Position der russischen Sprache Rechnung« tragen zu wollen, der blanke Hohn.
Geradezu bizarr ist die Weltanschauung des ILO-Mitinitiators Andrej Kurkow, der Swoboda zu einer »radikal-sozialistischen« Partei zurechtgelogen hat – ja, genau, die Partei, deren Chef vor einigen Jahren alle »Russensäue« und »Judenschweine« abknallen lassen wollte. Ein Meister im Leugnen des dramatischen Rechtsrucks in seinem Heimatland ist auch Serhij Zhadan. »In der Ukraine gibt es weder eine Diktatur, noch Rassismus, noch staatlichen Nationalismus – und behaupten Sie ja nicht das Gegenteil«, fauchte der Kommunistenfresser (er bejubelte den Sturz des Lenin-Denkmals in Charkiv u.a. durch den militanten Rechten Sektor) einem Spiegel-Interviewer entgegen.
Dass auf einem Literaturfestival unter dem neuen ultrarechten Regime in Kiew (dessen Oberhaupt einen Teil der eigenen Bürger als »Untermenschen« tituliert) Ressentiments und Hetze statt Aufklärung und Emanzipation ventiliert werden, ist nicht verwunderlich. Dass diese intellektuelle Finsternis aber mit maßgeblicher Beteiligung einer deutschen Kulturinstitution in der Aura der »Ästhetik des Widerstands« zelebriert wird, ist einfach unerträglich. Zyniker werden jetzt sagen: Wenn eine deutsche Stiftung hier im Namen des Pazifisten Heinrich Böll den Einsatz militärischer Gewalt rechtfertigt, warum nicht dort im Namen des Antifaschisten Peter Weiss den Vormarsch des Faschismus?
Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 5/2015, erhältlich ab dem 28. August 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.