Foto: Igor Dyda
Oktoberrevolution-Kulturpalast in Donezk Der Faschismus überzieht die Ukraine nicht nur mit Not und Elend – er vernichtet auch das Kulturerbe der UdSSR
Stanislav Retinskiy, Donezk
Im Jahr 1957 feierte die Sowjetunion den 40. Jahrestag der Oktoberrevolution. Um die historische Bedeutung des Ereignisses herauszustellen, schlossen viele Städte zum Jubiläumsdatum große Bauprojekte ab. Die Stadt Donezk – die damals Stalino hieß – war keine Ausnahme: Dort wurden der Flughafen, das Dorf Komsomolskij sowie der nach der Oktoberrevolution benannte Kulturpalast gebaut. Dieser bot einen Vorführungsraum mit 420 Plätzen, einen Lesesaal und Räume für Kunstgruppen.
In dem Gebäude, das schnell zum Aushängeschild der Region wurde, herrschte reger Kulturbetrieb: An den Nachmittagen konnten diverse Angebote, wie Musik-, Tanz-, Gesangs- oder Ballett-Unterricht, wahrgenommen werden, abends fanden Konzerte und andere Kulturveranstaltungen statt. Anfang 2011 wurde dort ein großes Jugendtreffen abgehalten, etwa 900 Menschen besuchten die Kunstveranstaltungen, die damals organisiert wurden.
Im Verlauf der 1990er-Jahre mussten viele Kulturbetriebe der ehemaligen Sowjetunion schließen, nach und nach verfielen die Gebäude. Nicht so der Kulturpalast in Donezk. Erst 2013 wurde er rundum saniert. So war – bis vor kurzem – genügend Raum vorhanden, dass der ortsansässigen Jugend ein reichhaltiges kulturelles Angebot gemacht werden konnte.
Unvorstellbar, dass der prachtvolle Bau schon ein Jahr später vollständig zerstört werden würde. Doch genau das geschah. Am 27. August 2014, während die ukrainische Armee das Zentrum der Stadt mit Artillerie beschoss, veränderte sich alles. Um 14 Uhr explodierten die ersten Geschosse. Eines davon traf das Dach eines fünfstöckigen Wohnhauses. Dass darin niemand zu Schaden kam, war Zufall: Die Bombe detonierte nicht, ein Mann blieb am Leben, weil er gerade in die Küche gegangen war, als sie durch die Decke ins Zimmer nebenan einbrach. Auf der Straße hinterließen die Einschläge tiefe Krater. Ein Betonpfahl, der Leitungsdrähte gestützt hatte, stürzte um – die Stromleitungen fielen auf ein Auto, die drei Insassen verbrannten lebendig.
Eine weitere Bombe explodierte auf dem Dach des Kulturpalastes, das in hellen Flammen aufging. Die Fensterscheiben waren unter dem Druck der Detonation geborsten; die Arbeiter, die im Haus waren, trugen tiefe Schnittwunden davon. Nur die Wände des Bauwerks blieben stehen wie ein Gerippe – innen aber wurde alles zerstört.
Die Mitarbeiter des Kulturpalastes berichten, dass das Gebäude, in dessen Keller sich ein Schutzraum für die Anwohner befunden hat, tagelang gebrannt hat. Am 19. September räumten Freiwillige dann die Trümmer beiseite. Vertreter der Führung der Volksrepublik Donezk beteiligten sich.
Die Zerstörung des im Andenken an die Oktoberrevolution errichteten Kulturpalastes durch die ukrainische Armee zeigt, dass die Junta in Kiew nicht gegen »Terroristen« und »Separatisten« kämpft – es geht ihr um die Zerstörung der sowjetisch geprägten Kultur der Region.
Übersetzung: Irina Gudz
Den Artikel lesen Sie in der M&R 6/2014, erhältlich ab dem 31. Oktober 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.