Fotos: Gil Cohen Magen/Reuters, Nacho Doce/Reuters
Zur Psychoanalyse des Starkults
Moshe Zuckermann
Die klassische Forschung zu Führerschaft ging von unabdingbaren Grundqualitäten des Führers aus, die sie für die Quelle seiner Ausstrahlung und Wirkung auf seine Anhänger hielt. Allmählich gelangte man jedoch zu der Erkenntnis, dass die Prädispostionen, für diese Wirkung empfänglich zu sein, nicht minder (vielleicht sogar mehr) den Ausschlag dafür geben. Niemand kann zum Führer avancieren, wenn er nicht von den Geführten als solcher anerkannt wird bzw. etwas an sich trägt, das diese an ihm suchen. Es kommt zu einer Wechselwirkung zwischen den eingebrachten Attributen des Führers und den Wünschen der Geführten, durch die diese Attribute zum Tragen kommen. So besehen hat das Phänomen der Führerschaft primär etwas mit den Projektionen von Geführten zu tun. Gleiches lässt sich über das Phänomen des Starkults behaupten. Als paradigmatisch hierfür darf jene Szene gelten, als die Beatles auf dem Höhepunkt der Hysterie um sie in einem Riesenstadion auftraten und gegen den tosenden Lärm nicht ankamen: John Lennon begann, statt des Songtextes Gibberisch zu singen – und das tobende Publikum merkte es gar nicht. Dies darf als wohl besonders eklatanter Fall der Loslösung des Rezipienten von den Qualitäten des angehimmelten Stars gelten; eine Loslösung, die den Star also als solchen situativ konstruiert, unabhängig von dem, was diesen qualitativ zu einem solchen hat werden lassen. Ein Elvis Presley konnte es sich leisten, seinen Song »Are You Lonesome Tonight« während einer Aufführung in einem unkontrollierten Lachanfall untergehen zu lassen, ohne Schaden an seinem Ruf als Performer zu nehmen, weil die Bedürfnisse der anwesenden Anhänger durch die schiere Präsenz ihres Stars vollends befriedigt waren. Man kann auch davon ausgehen, dass das unvorhergesehene Defizitäre am bewunderten Star eine nah erlebte Intimität schuf, die sich Anhänger gemeinhin nur aus der Ferne (und in der Phantasie) wünschen können. Es gehört zum Star, dass er fern, mithin als Projektionsfläche libidinös reich besetzbar bleibt. Gerade deshalb gilt die Durchbrechung dieser Ferne durch zufällig entstandene Intimität, die sich am persönlich Privaten des Bewunderten festmacht, als besonderes »Geschenk« für den Projizierenden.
Den kompletten Artikel lesen Sie in der M&R 5/2014, erhältlich ab dem 29. August 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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