Plädoyer für eine historisch-materialistische Konzeption eines notorischen Sujets
Enno Stahl
Liebe ist allgegenwärtig in unserer Kultur. Im Hollywoodfilm, im Popsong geht ohne Liebe gar nichts. Selbst im unsinnlichsten Streifen muss man irgendwo noch zarte Gefühle oder derberen Sex einbauen, sonst ist der Produzent nicht glücklich. Erst recht gilt das für die Literatur, die ein sehr viel älteres Medium ist. Solange es Texte gibt, ist Liebe ein zentrales Sujet – in allen Spielarten: als romantische Liebe, als tragische, verzweifelte oder problematische Liebe, als körperliche, gewalttätige oder fehlgeleitete, als himmelhoch jauchzende, weltverändernde oder im Gegenteil illusionslose Liebe. Das gibt es alles und immer wieder neu. Liebe in der Literatur ist ein in den Verlagsprogrammen in tausend Varianten nachgebetetes Thema; letztlich hat es eigene Genres gestiftet, Liebeslyrik und Liebesroman, die in noch mehr durchgenudelten Versionen als die Kriminalliteratur daherkommen. Liebe ist der Stoff unzähliger Kitschromane, ob im Heimatoder Arztkontext, doch auch in der Weltliteratur ist kaum etwas Neues unter der Sonne der Liebe denkbar.
Bei alldem ist Liebe bekanntlich auch das beste Ablenkungsmanöver. Besonders frisch Verliebte sind irgendwie weggetreten und daher immun gegen politische Unterdrückung oder andere Ungerechtigkeiten, die um sie herum geschehen. Aber ebenso steht Liebe selbst in gesellschaftlichen Abhängigkeiten – hier spiegeln sich Klassen- und Standesunterschiede und bestimmen, wer wen unter welchen Voraussetzungen lieben darf und wer nicht. Sie haben zudem starken Einfluss auf das Gelingen einer Beziehung – erschwerte wirtschaftliche Bedingungen haben oft das Zerbrechen der Liebe zur Folge. …
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 4/2021, erhältlich ab dem 17. September 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.