
Foto: Picture-Alliance / Jazzarchive
Das Jazzinstitut Darmstadt hat ein umfassendes Sun-Ra-Forschungsarchiv mit unveröffentlichten Aufnahmen erworben
Im Dezember 1971 lud der damals am Kairoer Goethe-Institut als Deutschlehrer angestellte Schriftsteller und Musiker Hartmut Geerken das Sun Ra Arkestra in seine Wohnung im Stadtteil Heliopolis. Das Konzert, das Sun Ra mit seinem Ensemble auf Instrumenten der ägyptischen Armee (die eigenen hatte der Zoll zurückbehalten) dort gab, steht am Anfang einer jahrzehntelangen intensiven Auseinandersetzung Geerkens mit dem afroamerikanischen Ausnahmekünstler (1914–1993).
Geerken, selbst schillernde Musikerpersönlichkeit und Mitgründer des vermutlich ersten Free-Jazz-Ensembles Ägyptens, forschte bis vor Kurzem über das Werk des Komponisten, BigBand-Leaders und Stichwortgebers des Afrofuturismus. Nun hat er sein Archiv dem Jazzinstitut Darmstadt übergeben. Dessen Leiter Wolfram Knauer verrät im Gespräch mit M&R, dass darin neben »sehr viel Papier, beispielsweise Programmheften, Geerkens Korrespondenz mit anderen Sun-Ra-Forschern und der kompletten Sekundärliteratur zu Sun Ra bis hin zu Fanzines, die nur in kleinen Kreisen kursierten«, auch »Hunderte Tonbänder und Videos mit unveröffentlichten Konzertaufnahmen« zu finden sind – eine wahre Schatztruhe für Liebhaber. Ob und inwieweit dieses Material in Ausstellungen zugänglich gemacht werden kann, ist für Knauer noch nicht absehbar. Zunächst muss die Sammlung gesichtet und systematisch digitalisiert werden, was nach seiner Schätzung anderthalb bis zwei Jahre dauern wird. Was Knauer in jedem Fall realisieren will, ist eine Onlinepräsentation. Vorher sind aber noch viele rechtliche Fragen zu klären, vor allem was die Konzertdokumentationen anbelangt.
Warum sich in den USA offenbar keine Institution für die wohl umfassendste Forschungssammlung über einen ihrer bis heute einflussreichsten Jazzmusiker interessiert hat, kann sich Knauer nicht erklären. Geerken sei auf jeden Fall froh darüber, dass sein Archiv nun in Darmstadt beheimatet sei, wo auch der Nachlass des bekannten Jazzkritikers Joachim-Ernst Berendt verwaltet wird: Schließlich habe ihn in den späten 1950er-Jahren eine Radiosendung Berendts erstmals auf Sun Ra aufmerksam gemacht.
red
Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 4/2021, erhältlich ab dem 17. September 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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