Zum Beispiel Los Aldeanos: Wie die USA versuchten, Kubas Hip-Hop-Szene für den Sturz der Regierung zu missbrauchen
Volker Hermsdorf *
Sie wollten nur Musik machen. Nicht irgendeine, sondern Rebellenmusik. In einem Land, in dem das Wort »Rebellion« – wie sie meinen – zu oft missbraucht wird, sollte ihre Musik ausdrücken, was die junge Generation bewegt. Als Bian Rodríguez Galá und Aldo Rodríguez Baquero im Februar 2003 das Hip-Hop-Duo Los Aldeanos gründeten, wollten sie aufrütteln, protestieren und provozieren. Das gelang ihnen von Anfang an. Texte wie »Meine Arbeit lohnt sich nicht / Ich sehe keine Perspektive / Keine Zukunft hier für mich« trafen die Stimmung vieler Jugendlicher.
»Die politische Diskussion wird von Rappern beeinflusst«, ließ Aldo Rodríguez selbstbewusst verlautbaren. Ätzende Kritik an Bürokratie, Bequemlichkeit und Korruption verunsicherte und verärgerte manchen Kulturfunktionär. Die Musiker bekamen Stress mit Behörden, hatten aber auch Erfolg. Noch im Jahr ihrer Gründung wurde ihnen für den Song »A veces sueño« (Manchmal träume ich) der Preis »Rap Plaza« verliehen, danach folgte eine Auszeichnung nach der anderen.
Einschlägige Klubs
Während damals fast jeder in Havannas Jugendszene, in den einschlägigen Klubs und am Treff an der Ecke 23. Straße / Calle G Los Aldeanos, Danay Suárez, Papá Humbertico, das Duo Obsesión und die anderen Raperos kannte, nahmen die Medien außerhalb der Karibikinsel zunächst nur wenig Notiz von der für Kuba noch relativ neuen Musikrichtung und deren Interpreten. Als möglichen Grund dafür vermutet die Soziologieprofessorin Sujatha Fernandes vom Queens College, einer staatlichen Universität in New York: »Die kubanische Hip-Hop-Bewegung stellt sich nicht gegen die Castro-Regierung, sondern sieht sich in der Tradition der Revolution. Die Jungen wollen die alten Anführer nicht stürzen, sondern erinnern sie an ihre revolutionären Versprechen von einst und fordern diese radikal ein.«
Die Autorin zahlreicher Publikationen über die kubanische Subkultur kennt sich aus. Ihre Einschätzung ist für die Vertreter des Mainstreams im Westen jedoch nicht sonderlich interessant. Dem FBI ist die Szene in Kuba wegen ihrer Beziehungen zu revolutionären Black-Power-Gruppen in den USA sogar höchst suspekt. Schwarze US-Hip-Hop-Stars wie Mos Def, Common oder Talib Kweli reisen nach Havanna, musizieren dort mit ihren Kollegen und treffen sich mit der vom FBI zur Fahndung ausgeschriebenen ehemaligen Black-Panther-Aktivistin Assata Shakur.
Begehrlichkeiten
Bereits 2001 hatte der damalige Kulturminister Abel Prieto Rap als »authentischen kubanischen Musikstil« geadelt. Am 15. Dezember 2006 berichtete die New York Times über die einige Jahre zuvor erfolgte Gründung der staatlichen Kubanischen Rap-Agentur und zitierte deren Leiterin Susana García Amorós: »Rap ist eine Form der Auseinandersetzung, eine Form des Protests für einen Teil der Bevölkerung. Seine Kraft liegt nicht im Rhythmus, sondern in den Texten.«
Das weckte im Westen das Interesse derjenigen, die den Kubanern ein anderes System bescheren wollen. Sujatha Fernandes, die in ihrem im Oktober 2006 veröffentlichten Buch »Cuba Represent!« ausführlich auf die dortige Rap-Szene eingeht, berichtet, dass sie in ihrer Harlemer Wohnung mehrfach von Agenten des State Department belästigt worden sei, die versucht hätten, sie über ihre Erfahrungen in Kuba auszuquetschen. Euphorische Artikel bundesdeutscher Medien lassen ahnen, in welcher geheimen Mission die US-Agenten letztlich unterwegs waren. Der Spiegel wusste im August 2009: »Junge Hip-Hopper von Havanna bis Guantánamo brechen das staatliche Meinungsmonopol.« Und Die Zeit verkündete unter der Überschrift »Reime gegen Fidel« im Juli 2010: »Kubas Regierung will der sozialkritischen Jugend den Mund verbieten.« So gehen Kampagnen.
Plötzliche Vorliebe
Als dann der kubanische Universitätsprofessor Raúl Capote, der sich zum Schein für die CIA hatte anwerben lassen, um Einblick in deren Arbeit zu erhalten, über eine plötzliche Vorliebe nordamerikanischer Agenten für das Duo Los Aldeanos berichtete, wurde ihm zunächst nicht geglaubt. »Heute erinnere ich mich daran und schäme mich für meine Naivität und Dummheit«, schrieb der Student Osmany Sánchez auf dem Blog La Joven Cuba, als er erfuhr, dass viele Raperos – meist ohne es zu ahnen – als Agenten der US-amerikanischen Entwicklungsagentur USAID unterwegs waren.
Die versuchte Vereinnahmung von Teilen der kubanischen Musikszene durch US-Geheimdienste ist jedoch bewiesen. Im Dezember 2014 veröffentlichte die Nachrichtenagentur AP Tausende Dokumente, die belegen, dass die USAID im Jahr 2008 ein auf mindestens vier Jahre angelegtes Projekt gestartet hatte, um mit Hilfe der Rapper eine gegen die Regierung in Havanna gerichtete Jugendbewegung zu initiieren. Zur Verschleierung hatte sie die in Washington ansässige Firma Creative Associates International für Millionen Dollars mit der Umsetzung beauftragt. Die wiederum richtete eine Briefkastenfirma in Panama ein, heuerte Helfer auf den Britischen Jungferninseln und eine Anwaltskanzlei in Liechtenstein an, um die kubanischen Behörden über die Herkunft der Finanzen und den Fluss des Geldes zu täuschen.
Die Zielperson
Creative beauftragte den serbischen Otpor-Aktivisten Rajko Božić, nach Kuba zu gehen. Der Mann hatte im Jahr 2000 Protestkonzerte in Serbien gegen den damaligen Präsidenten Slobodan Milošević organisiert und galt folglich als erfahren. AP berichtete: »Anfang 2009 schickte ein Verbindungsmann der US-Regierung einen serbischen Musikpromoter nach Kuba, mit dem verdeckten Auftrag«, einen von »Havannas bekanntesten Rappern« zu rekrutieren. Aldo Rodríguez von Los Aldeanos, der »Held des Hip-Hop-Undergrounds«, wurde zur Zielperson.
Insgesamt sprachen Božić und seine Helfer etwa 200 junge Musiker in Kuba an, lockten mit Reisen nach Europa, versprachen Konzertverträge und Videoclips, organisierten TV-Shows und Festivals. Es gelang ihnen sogar, bekannte kubanische Künstler wie Pablo Milanés, Silvio Rodríguez oder den kolumbianischen Rockstar Juanes, der im September 2009 ein Konzert in Havanna gab, hinters Licht zu führen und einzuspannen. Im August 2010 nutzten Los Aldeanos das bekannte Rotilla-Festival im 60 Kilometer östlich von Havanna gelegenen Jibaoca zu verbalen Attacken auf Politiker. Vor rund 20.000 Zuhörern verhöhnten sie die anwesenden Polizisten als »Scheißelöffler«. Die blieben trotzdem ruhig, auch als aus dem Publikum vereinzelte Provokateure für die von Božićs Team organisierten Kameras »Nieder mit Fidel!« riefen.
Rotilla-Organisator Michel Matos gab sich schockiert, als er erfuhr, dass der Promoter für einen US-Dienst tätig war, und versicherte, er würde niemals wissentlich US-amerikanisches Geld zur Destabilisierung Kubas annehmen. Acht kubanische Rapper verfassten gemeinsam den Song »A mi no me pueden comprar« (Mich können sie nicht kaufen). USAID-Direktor Rajiv Shah nahm Anfang 2015 seinen Hut, und Los Aldeanos zogen nach Tampa, Florida. Dort geben sich die einstigen Rebellen und US-Agenten wider Willen, die sich in Kuba den Satz »El rap es guerra« (Rap ist Krieg) auf die Unterarme tätowiert hatten, handzahm. Kommerziellen Zwängen folgend, äußern sie sich in ihren Songs kaum noch über Politik. Aldo Rodríguez Baquero spielt dafür jetzt in professionell produzierten Videos mit Hunden und Kindern.
* Volker Hermsdorf, Autor der Bücher »Die kubanische Revolution«, »Amboss oder Hammer. Gespräche über Kuba« und »Kuba – Aufbruch oder Abbruch?«
Den Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 4/2016, erhältlich ab dem 1. Juli 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.