Bildgewaltige Verfilmung von J.M. Coetzees Parabel von der Barbarei des Kolonialismus
Interview: Susann Witt-Stahl
Ciro Guerra gilt heute als der bedeutendste Regisseur Kolumbiens. 2015 war ihm mit »Der Schamane und die Schlange« der internationale Durchbruch gelungen. Ende 2020 brachte er seine Verfilmung des Romans »Warten auf die Barbaren« des südafrikanischen Schriftstellers J.M. Coetzee aus dem Jahr 1980 heraus, der in der Grenzregion eines fiktiven Imperiums spielt – eine erschütternde Anklage der Verbrechen des Kolonialismus. M&R sprach mit Guerra über seine künstlerische Verarbeitung von Gewalt und Leiden als Zivilisationskritik, seine Arbeit mit Kinoikonen wie Johnny Depp und dem Kameramann Chris Menges sowie über die Rezeption seines Films in postkolonialen Ländern.
»Schmerz ist Wahrheit«, heißt es in einem exponierten Moment Ihres Films. Kann man diese Aussage auch als ein Prinzip der Kunst betrachten?
Nun, wenn man sich die Welt als einen vollkommenen Ort vorstellen würde, dann wäre Kunst darin überflüssig. Schaffensdrang entstammt ja unseren Zweifeln und unserer Unvollkommenheit – Kunst entsteht aus dem Bedürfnis, unserem Dasein einen Sinn zu geben. Wenn hingegen Unwissenheit Glückseligkeit bedeutet, dann kann die Wahrheit in der Tat nur schmerzhaft sein.
Folter, Brutalität und Schmerz sind ein zentrales Motiv – schon in der Romanvorlage von Coetzee. In einer Szene führen Soldaten des Imperiums aneinandergefesselte »Barbaren« in das Grenzfort, die alle ihre Hände an ihre Wangen pressen, als hätten sie Zahnschmerzen. Schließlich ist zu sehen, dass man ihnen diese Körperteile mit Draht durchbohrt und sie danach zusammengezogen hat. Adorno meinte: »Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit.« Stimmt das?
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Kunst und Unterhaltung: Letztere spendet Trost, es geht ihr darum, dem Publikum zu sagen: »Alles wird gut, …«
[≡] Warten auf die Barbaren
Regie: Ciro Guerra
Constantin Film
Das komplette Interview erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2021, erhältlich ab dem 18. Juni 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.