Israels Krieg als Identitätsstifter für eine neue deutsche Volksgemeinschaft
Arnold Schölzel
Jeder könne im Internet sehen, »mit welcher Gewalt die Al-Aqsa-Moschee entweiht wurde«, schrieb die US-amerikanische jüdische Philosophin und Direktorin des Potsdamer Einstein Forums, Susan Neiman, in der Zeit vom 27. Mai und fragte: »Wie hätte die Welt denn reagiert, wenn der Petersdom am Heiligabend von Truppen mit Tränengas und Gummigeschossen gestürmt worden wäre? Doch seit die Bilder von den Angriffen auf Gaza – denen 66 Kinder zum Opfer fielen – um die Welt gingen, fokussieren sich deutsche Medien auf die Szenen, in denen Demonstranten vor einer Synagoge ›Scheißjuden‹ skandierten.« Neimans Artikel bildete hierzulande eine Ausnahme.
Welt-Chefkommentator Jacques Schuster zum Beispiel titelte am 13. Mai: »Israel im Zwei-Fronten-Krieg – eine davon führt durch Deutschland.« Und er erläuterte: Die äußere Front sei die zwischen Israelis und Arabern, die hiesige werde »immer größer«: »Mit der Dosennahrung des Judenhasses aufgezogen, glaubt ein großer Teil der Zuwanderer aus dem Nahen Osten hierzulande, sein kümmerliches Gesellschaftsbild auf Deutschland übertragen zu können.« Hinzu trete ein »linkes urdeutsches Milieu, das mit einer postkolonialen Behutsamkeit auf die eingewanderten Muslime und Araber schaut und so manches verzeiht, was es Biodeutschen niemals durchgehen lassen würde.« Der Antizionismus, den er als »mühsam gezähmten Judenhass« definiert, sei auch die »Dosennahrung vieler grün-links gesonnener Journalisten, Künstler und Akademiker« gewesen. Schlussfolgerung: Der Anteil an frischer deutscher Nahrung macht den Unterschied zwischen Mensch und Scheusal – dem migrantischen Antisemiten. Die Positionen der AfD haben in diesem Krieg viel Raum in deutschen Leitmedien bekommen.
Der neue Grad an Maßlosigkeit erschließt sich, wenn betrachtet wird, wie unterschiedlich Washington und Berlin auf den Krieg reagierten. Hiesige Medien weigerten sich fast ausnahmslos wiederzugeben, was US-Senator Bernie Sanders am 14. Mai in der New York Times geschrieben hatte: Benjamin Netanjahus Regierung habe daran gearbeitet, »palästinensische Bürger Israels zu marginalisieren und zu dämonisieren«, sie fördere die Siedlungspolitik, um eine Zweistaatenlösung zu verhindern, und verabschiede Gesetze, die die »systemische Ungleichheit zwischen jüdischen und palästinensischen Bürgern Israels« verfestigten. …
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2021, erhältlich ab dem 18. Juni 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.