Am 21. März wurde Sven Regener für die Sendung »Zündfunk« (Bayern 2) um ein Interview zum Thema Urheberrecht gebeten. Statt zu antworten, schlug er verbal um sich: über die Piratenpartei (»Banausen«), YouTube (»scheiße«), YouTube-Nutzer (»Deppen«), die Indie-Labels (»tot«), den Indie-Rock (»tot«) und eine von ihm empfundene Umsonstkultur*. Damit löste Regener eine erregt geführte Debatte aus.
Wir stellen zwei Meinungen zur Diskussion.
Um es mit Facebook zu sagen: es ist kompliziert
Regener hat ausgesprochen, wie viele Musiker sich fühlen. Sie sind wütend, verletzt, fühlen sich missverstanden. Selbst wenn (!) mit Zahlen nicht zu belegen sein sollte, dass extensive Musiknutzung ohne Vergütung sich auf die Einkunftssituation von Musikern negativ auswirkt, so bleibt doch das Gefühl vieler Musiker, dass ihr Werk missbraucht, entfremdet, von ihnen abgetrennt wird.Jaron Lanier bespricht in seinem Buch »You’re Not A Gadget« die Handlungsstrategien von Tekkies und Kreativen. Während Ersterer versucht, Sachverhalte mittels Formeln zu standardisieren (»wer das hört, hört auch das«), strebt der Musiker nach Individualisierung und Emotionalisierung. Wir Musikfans finden uns in einem einzigartigen Stück Musik wieder oder nicht. Die Entscheidung dafür, ob es einen emotionalen Wert für uns hat, ist individuell, sehr persönlich und auf keinen Fall mit standardisierten Vorgaben zu erfassen.
Nun zu den Piraten: Ich persönlich glaube deshalb nicht, dass es irgendjemandem außer vielleicht Google und Facebook irgend etwas bringt, Musik durch die Legalisierung von Filesharing vom Künstlerkontakt (und sei es nur über das Bezahlen eines Songs) abzulösen. Damit entwerten wir nicht nur die individuelle Aussage und die Bindung des Künstlers zu seinem Werk und uns, sondern auch unsere eigene emotionale Beziehung zur Musik und zum Künstler. Musik ist dann zwar frei verfügbar, aber sie verliert ihre Aura.
Eva Kiltz,
Geschäftsführerin Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT) e.V.
Es gibt keine »Raubkopierer«
Aus seiner Sicht hat Sven Regener Recht. Er braucht Einkünfte, um zu leben, und die erzielt er als Buchautor und Musiker. Wird das Geld knapp, muss jemand schuld sein – et voilà, der Filesharer ist‘s, der ihn um die Früchte seiner Arbeit bringt. Da können noch so viele Untersuchungen nachweisen, dass Filesharer mehr Geld für Platten, Konzerte und Merchandising ausgeben als Nicht-Filesharer, es wird ignoriert. Statt dessen erfindet man Fantasiebegriffe wie »Raubkopierer« oder »Geistiges Eigentum«, verlängert die Urheberschutzfrist von 50 auf 70 Jahre nach Erscheinen eines Tonträgers und denkt sich immer neue Schikanen für die Kunden aus.Es gibt auch eine andere Sicht. Regeners jüngste Bücher wurden eher verhalten rezensiert. Die Musik seiner Band Element Of Crime muffelt seit Jahren. Es geht nicht mehr voran, bestenfalls tritt er auf der Stelle. Vielleicht ist Regener ein Auslaufmodell, ein Mann, der nicht mehr versteht, was um ihn herum passiert. Er sagt: »Für die Leute zwischen 15 und 30 gibt es keine endemische Musik mehr … Was bleibt, ist Volksmusik, deutscher Schlager und Pop-Musik für die Älteren. Der Rest dazwischen ist schon tot.« Falls er das ernst meint, steht es schlecht um sein aktuelles popmusikalisches Wissen. Zwar hat jeder das Recht, sich in seinem Memory Hotel einzurichten. Bedenklich wäre dann allerdings, mit welcher Dreistigkeit er über Technologien urteilt, die ihm fremd sind – und dass er Menschen, die mit diesen Technologien leben und arbeiten, ein überkommenes Urheberrecht aufzwingen will.
Jürgen Winkler,
Chefredakteur Melodie&Rhythmus
* Der Sender Bayern 2 hat das Interview online gestellt:
www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/regener_interview100.html
Der Beitrag erscheint in der Melodie&Rhythmus 3/2012, erhältlich ab dem 27. April 2012 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch hier bestellen.