Die Werke wahnsinniger Schriftsteller entfalten zuweilen eine besondere Kraft und verblüffende Originalität
Enno Stahl
Nicht erst seit Michel Foucaults Promotionsschrift »Wahnsinn und Gesellschaft« weiß man, dass Geisteskrankheit ein relatives Phänomen ist: Die jeweilige historische Formation, also die Gesellschaft, definiert, was Wahn ist und was nicht, wo er anfängt, wo er aufhört – und nicht zuletzt auch, wie damit umzugehen ist. Für Blaise Pascal zum Beispiel waren die Menschen »so notwendig verrückt, dass nicht verrückt sein nur hieße, verrückt sein nach einer anderen Art von Verrücktheit«. Dass der Wahnsinn zu allen Zeiten ein besonderes Interesse als Mischung aus Faszination, Angst und Abscheu auf sich zog, ist nicht verwunderlich. Schon die Geschichte der Herkunft des Wortes offenbart einen Zwiespalt: Bezeichnete es ursprünglich Hoffnung, Erwartung, Ansicht, Meinung, verwandt mit Wonne und Wunsch, setzte sich im Mittelhochdeutschen »falsche Vorstellung« oder »fixe Idee« als Bedeutung durch.
Doch der Wahn blieb ein geheimnisumwittertes Zwitterwesen zwischen den Polen von »Pathologisierung« und »Sakralisierung«, so die Literaturwissenschaftlerin Bernadette Malinowski. Er blieb das reziproke Andere, jenes, das nach Foucault »von sich aus die Grenzen der bürgerlichen Ordnung überschreitet und sich über von deren Ethik geheiligte Schwellen hinauswagt«. Daher versteht sich, dass der Wahn Dichter anregte, sich mit ihm zu befassen.
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Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2021, erhältlich ab dem 19. März 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.