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Agata Pyzik über Mythen und Wahrheiten der Punkkultur in der Volksrepublik Polen
Das Buch »Poor but Sexy« der in Großbritannien lebenden polnischen Autorin Agata Pyzik handelt vom Aufeinanderprallen der Kulturen Ost- und Westeuropas – während des Kalten Krieges und im neoliberalen Zeitalter. Unser London-Korrespondent Maciej Zurowski sprach mit Agata Pyzik über Punk in Polen damals und seine reaktionären Tendenzen heute.
Das Leben in der Volksrepublik Polen war qualitativ anders als das Leben im Westen. Inwieweit hat sich das auf Punk und Post-Punk ausgewirkt?
Weil eine kommerzielle Popkultur fehlte, war die vorherrschende Kultur anspruchsvoll und niveauvoll. In meinem Buch komme ich zu dem Schluss, dass das dem polnischen Punk zum Vorteil gereicht hatte. Wenngleich Punk und andere dissidente Kunst aus jener Zeit heute schlichtweg als »antikommunistisch« interpretiert werden, haben unsere rebellischen Künstler damals in Wirklichkeit sehr viel Nutzen aus dem reichhaltigen Kunst-, Literatur- und Kulturangebot gezogen, das vom Staat finanziert wurde.
Es gab aber auch eine staatseigene Massenkultur. Waren Bands wie Maanam, die Teil dieser zentralisierten Kulturproduktion waren, uninteressanter oder »konformistischer« als Westbands?
Es stimmt schon, dass es später auch diese Massenkultur gab. Aber ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass sie uninteressant war. Für mich gibt es da viel Spannendes zu erforschen – etwa wie die opulente Ästhetik des Westens der 1980er-Jahre ohne dessen finanzielle oder technische Mittel kopiert wurde. Den inflationär verwendeten Begriff »konformistisch« mag ich nicht besonders, zumal wir heute in einer Zeit der allergrößten Konformität leben und uns gleichzeitig alle einbilden, Nonkonformisten zu sein.
In Retrospektiven wird polnischer Punk gerne als antikommunistische Protestkultur behandelt. Ist an dem »Freiheitsmusik«-Narrativ etwas dran?
Es ist mit Vorsicht zu genießen. Der Freiheitskämpfer-Mythos ist sehr selbstgefällig und mythologisiert eine Punkbewegung, die selbst in den schlechtesten Zeiten des Realsozialismus sehr viel Spaß hatte. Viele Punks waren aus privilegiertem Elternhaus mit leichtem Zugang zu kulturellem Kapital. Wenn sie Arbeiterkinder gewesen wären, hätten sie wahrscheinlich eher an den Aktivitäten des Arbeiterstaates teilgenommen, der zu jener Zeit, ehrlich gesagt, nur noch eine Parodie seiner selbst war. Die Sache ist also kompliziert. Schauen Sie sich einmal Aufnahmen aus dem trostlosen England von damals an: Ian Curtis hatte es auch nicht besser. Ich denke, Post-Punk war der künstlerische Ausdruck einer Welt, die sich in einer blockübergreifenden Krise befand. Im Übrigen würde ich nicht zu viel auf das Märtyrergehabe älterer Punks geben, die damit heute vor allem ihre reaktionären politischen Ansichten untermauern wollen.
Was machen die Protagonisten seit 1989?
Robert Brylewski von Kryzys hat neulich publik gemacht, dass er mittellos ist, und vielen Kollegen geht es ähnlich. Ihre Vorstellung, dass sie im Kapitalismus von ihrer Musik leben könnten, hat sich als Illusion entpuppt. Andere sind knallharte Geschäftsleute geworden, und wieder andere haben Lieder für die nationalistische Rechte geschrieben.
Letztere bestimmt zunehmend das politische und kulturelle Klima in Polen. Kann man mit einer Pop-Gegenkultur rechnen?
Das glaube ich leider nicht – außer dem üblichen langweiligen Agitprop im Chumbawamba-Stil kann ich nicht viel entdecken. Allerdings sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass die Musikindustrie sich heute in einer schweren finanziellen und künstlerischen Krise befindet; mit Innovation ist es nicht weit her. Der subversive Geist des Punk ist in Polen höchstens noch im Hip-Hop erhalten geblieben. Dort gibt es interessante Künstler, die das abgefuckte Leben der Arbeiter, die Desillusionierung und das politische Chaos nach der »demokratischen« Wende dokumentieren – und das Bemühen der Menschen, trotzdem »Spaß« zu haben. Wie überall auf der Welt eben.
Agata Pyzik Cultural Clashes in Europe East and West
Zero Books, 2014, 309 S., ISBN 978-1-78099-394-2
Das Interview lesen Sie in der M&R 1/2015, erhältlich ab dem 5. Januar 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.