Melodie & Rhythmus

Gruppentherapie: Individualisten-Pop gegen Normcore

28.10.2015 15:30
Foto: Kieran Doherty (Reuters), Mike Blake (Reuters)

Foto: Kieran Doherty (Reuters), Mike Blake (Reuters)

Behandlung der Zwangsneurosen des Neoliberalismus

Diego Castro

Als Lady Gaga mit »Born This Way« eine nach Madonnas »Express Yourself« überflüssige Aktualisierung des Themas egoistische Selbstverwirklichung lieferte, überschlugen sich die Kritiken vor Begeisterung. Das Video präsentierte eine zum Gesamtkunstwerk aufgeblähte Hupfdohlen-Nummer für die letzten Einhörner von morgen. Gagas breiige Lyrik zeigte verwirrten Teenagern den Weg zum Selbst: Egal, wie einfach oder schwierig die Ausgangslage, glaube nur an dich! Sei du selbst – koste es, was es wolle! Gelobt wurde, ähnlich wie beim Vorbild Madonna, das vermeintlich emanzipatorische Potenzial des Songs. Doch das besungene Primat der Selbstverwirklichung hat vielleicht weniger mit Einhörnern und mehr mit Ayn Rand zu tun. Das Objektivistische an Lady Gaga liegt in der impliziten Rentabilitätsvorschau des ökonomischen Selbst. Die Anlagen sind egal, die Dividende zählt. Bei der Nabelschau von Mother Monster bleibt keine Zeit für Loser. Alle müssen Little Monsters werden, kleine Egoisten.

Immer öfter, so belegte 2011 eine Studie an der University of Kentucky, heißt es im Pop: »It’s personal, myself and I«. Ähnlich wie die ehemalige Black-Eyed-Peas-Sängerin Fergie im Liedchen »Big Girls Don’t Cry« den Rückzug ins Ich beschreibt, verhält es sich im Pop laut der Untersuchung, welche die Struktur von Pop-Texten analysierte. Neben Hassausdrücken stieg auch die Anzahl der Selbstreferenzen. In 30 Jahren habe das »Wir« ab- und das »Ich« zugenommen. Dies sei symptomatisch für eine immer narzisstischer werdende Gesellschaft. Ob das zutrifft oder sich lediglich der Habitus der Macher unverhohlener in den Produkten des Pop spiegelt, sei dahingestellt. Dass junge Leute sich absondern, viel mit sich selbst beschäftigt sind und diesem Verhalten mit Musik und Stil Ausdruck verleihen, ist nicht neu. Aber hat sich nicht die Art verändert, wie die Allgemeinheit darüber denkt?

Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 6/2015, erhältlich ab dem 30. Oktober 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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