Wie Hanns Eislers und Bertolt Brechts Bemühungen um das revolutionäre Kollektiv in der Gemeinschaftsarbeit »Die Maßnahme « gipfeln
Stefan Amzoll
Weilte er nicht unter Leuten und plauderte mit ihnen, ging es dem eloquenten Hanns Eisler schlecht. Er brauchte die Kommunikation wie die Luft zum Atmen. Selbst bei Komponierübungen allein im Kämmerchen fühlte er sich unwohl. Der Jüngling hatte noch den Krieg erlebt und darüber eine Ahnung bekommen von dem massenhaften Abschlachten, das Unzähligen seiner Generation in Europa und der Welt das Leben gekostet hatte. Eine einschneidende Erfahrung. Arnold Schönberg, sein wichtigster, stets hochverehrter Lehrer, konnte Eisler zwar den Ernst des Komponierens beibringen, aber den Heißsporn keinesfalls darin beflügeln, den Weg zu finden, den er danach gegangen ist. 1924 löst Eisler sich von Schönberg – politisch, niemals kompositorisch. Dessen bürgerlich-individualistische Welt- und Kunstvorstellungen interessierten ihn nicht oder nicht mehr.
Der 1898 in Leipzig geborene Komponist schließt sich in Berlin der revolutionären Arbeiterbewegung an und avanciert zum sprachmächtigsten Neutöner unter den Revolutions- und sonstigen Musikern seiner Generation. Was ist das Bekenntnis zur Umwälzung ohne den Zusammenschluss derer, die dieser zum Erfolg verhelfen könnten? Eisler findet während der Weltwirtschaftskrise um 1930 eine gespaltene, ins Elend gestürzte Arbeiterbewegung vor, einen Hitlerismus, der zur Macht strebt, und eine hiergegen weitgehend gleichgültige bürgerliche Musik, die zu attackieren er sich zur Aufgabe macht. Er schreibt Kritiken in der »Roten Fahne«, komponiert Chöre nach Heine, welche die miefige Liedertafelei aufs Korn nehmen, sodann Lieder nach Mehring, Tucholsky, Brecht. Diverse Kampflieder entstehen (»Roter Wedding«, »Die Ballade von den Säckeschmeißern« u.a.). Sie sind härteren Kalibers und geeignet, Aktionen der linken Arbeiterbewegung auf den Straßen, in den Versammlungssälen, den Kneipen und Gartenlokalen Nachdruck zu verleihen. Hanns Eisler verschreibt sich fortan dem Kollektiv in höchstem Maße.
In anderer Art tut das Bertolt Brecht. Brecht ist der Kollektiv-Individualist schlechthin. Immer hatte der Mitarbeiter um sich, zu je verschiedenen Anlässen seine Frau Helene Weigel, Lion Feuchtwanger, Margarete Steffin, Elisabeth Hauptmann, Ruth Berlau, Komponisten wie Paul Hindemith, Kurt Weill, Hanns Eisler, später Paul Dessau, Kurt Schwaen und weitere. Brecht war an sich nie allein. Wurde sein »Baal«, ein individualistischer Exzess in Sprache und Inhalt, gespielt oder gelesen, zog das Scharen von irritierten jungen Leuten an. Die freche, anarchische, ins bürgerliche Fleisch schneidende Poesie lockt die Jugend bis heute. Es sind allemal Kollektive, die sich um extrem individualistische Kunst scharen. Im Weiteren änderte Brecht seine Haltung zur Kollektivität, und zwar grundlegend. Gemeinschaftsarbeit zu betreiben im Kapitalismus, der dem hemmungslos ökonomischen, kulturellen, künstlerischen Individualismus die höchsten Ehren erwies, wurde ihm spätestens seit Ende der 20er-Jahre zur zweiten Natur. Andererseits konnte der Autor eine Massengesellschaft unter Preisgabe des Individuums nie denken. Seine Lehrstücke »Die Maßnahme«, »Der Jasager«, »Der Neinsager«, »Die Rundköpfe und die Spitzköpfe« attackieren den bornierten bürgerlichen Individualismus und üben – mehr oder minder direkt – den Spielern und dem Publikum dessen Überwindung ein.
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