Melodie & Rhythmus

Die Masse in Atem halten

28.10.2015 15:58
Hanns Eisler singt gemeinsam mit spanischen Brigadisten (1938) Foto: Akg-Images

Hanns Eisler singt gemeinsam mit spanischen Brigadisten (1938)
Foto: Akg-Images

Wie Hanns Eislers und Bertolt Brechts Bemühungen um das revolutionäre Kollektiv in der Gemeinschaftsarbeit »Die Maßnahme « gipfeln

Stefan Amzoll

Weilte er nicht unter Leuten und plauderte mit ihnen, ging es dem eloquenten Hanns Eisler schlecht. Er brauchte die Kommunikation wie die Luft zum Atmen. Selbst bei Komponierübungen allein im Kämmerchen fühlte er sich unwohl. Der Jüngling hatte noch den Krieg erlebt und darüber eine Ahnung bekommen von dem massenhaften Abschlachten, das Unzähligen seiner Generation in Europa und der Welt das Leben gekostet hatte. Eine einschneidende Erfahrung. Arnold Schönberg, sein wichtigster, stets hochverehrter Lehrer, konnte Eisler zwar den Ernst des Komponierens beibringen, aber den Heißsporn keinesfalls darin beflügeln, den Weg zu finden, den er danach gegangen ist. 1924 löst Eisler sich von Schönberg – politisch, niemals kompositorisch. Dessen bürgerlich-individualistische Welt- und Kunstvorstellungen interessierten ihn nicht oder nicht mehr.

Der 1898 in Leipzig geborene Komponist schließt sich in Berlin der revolutionären Arbeiterbewegung an und avanciert zum sprachmächtigsten Neutöner unter den Revolutions- und sonstigen Musikern seiner Generation. Was ist das Bekenntnis zur Umwälzung ohne den Zusammenschluss derer, die dieser zum Erfolg verhelfen könnten? Eisler findet während der Weltwirtschaftskrise um 1930 eine gespaltene, ins Elend gestürzte Arbeiterbewegung vor, einen Hitlerismus, der zur Macht strebt, und eine hiergegen weitgehend gleichgültige bürgerliche Musik, die zu attackieren er sich zur Aufgabe macht. Er schreibt Kritiken in der »Roten Fahne«, komponiert Chöre nach Heine, welche die miefige Liedertafelei aufs Korn nehmen, sodann Lieder nach Mehring, Tucholsky, Brecht. Diverse Kampflieder entstehen (»Roter Wedding«, »Die Ballade von den Säckeschmeißern« u.a.). Sie sind härteren Kalibers und geeignet, Aktionen der linken Arbeiterbewegung auf den Straßen, in den Versammlungssälen, den Kneipen und Gartenlokalen Nachdruck zu verleihen. Hanns Eisler verschreibt sich fortan dem Kollektiv in höchstem Maße.

In anderer Art tut das Bertolt Brecht. Brecht ist der Kollektiv-Individualist schlechthin. Immer hatte der Mitarbeiter um sich, zu je verschiedenen Anlässen seine Frau Helene Weigel, Lion Feuchtwanger, Margarete Steffin, Elisabeth Hauptmann, Ruth Berlau, Komponisten wie Paul Hindemith, Kurt Weill, Hanns Eisler, später Paul Dessau, Kurt Schwaen und weitere. Brecht war an sich nie allein. Wurde sein »Baal«, ein individualistischer Exzess in Sprache und Inhalt, gespielt oder gelesen, zog das Scharen von irritierten jungen Leuten an. Die freche, anarchische, ins bürgerliche Fleisch schneidende Poesie lockt die Jugend bis heute. Es sind allemal Kollektive, die sich um extrem individualistische Kunst scharen. Im Weiteren änderte Brecht seine Haltung zur Kollektivität, und zwar grundlegend. Gemeinschaftsarbeit zu betreiben im Kapitalismus, der dem hemmungslos ökonomischen, kulturellen, künstlerischen Individualismus die höchsten Ehren erwies, wurde ihm spätestens seit Ende der 20er-Jahre zur zweiten Natur. Andererseits konnte der Autor eine Massengesellschaft unter Preisgabe des Individuums nie denken. Seine Lehrstücke »Die Maßnahme«, »Der Jasager«, »Der Neinsager«, »Die Rundköpfe und die Spitzköpfe« attackieren den bornierten bürgerlichen Individualismus und üben – mehr oder minder direkt – den Spielern und dem Publikum dessen Überwindung ein.

Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 6/2015, erhältlich ab dem 30. Oktober 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

Ähnliche Artikel:

Anzeigen

TOP 10: Dezember 2024

Liederbestenliste

Ältere M&R-Newsletter

M&R-Newsletter 4/2024

Triumph der Reaktion

M&R-Newsletter 3/2024

Repressives Dogma

M&R-Newsletter 2/2024

»Eine neue Flamme«

M&R-Newsletter 1/2024

Verordneter Philosemitismus

M&R-Newsletter 4/2023

Wiederschlechtmachung

M&R-Newsletter 3/2023

Ideologische Supermacht
»Komm auf die dunkle Seite!«

M&R-Newsletter 2/2023

Kriegsstifter und Friedenshetzer
Lachend in den dritten Weltkrieg?

M&R-Newsletter 1/2023

Sag mir wo die Blumen sind
Nie wieder Frieden

Aus dem M&R-Archiv

Auf Ostfrontlinie gebracht
Nationalistische Parolen, Geschichtsklitterung, Hassexzesse, sogar Begeisterung für den totalen Krieg – einer wachsenden Zahl von Künstlern und Intellektuellen ist offenbar jedes Mittel recht, um sich der neuen Volksgemeinschaft gegen Russland anzudienen. weiterlesen

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Rudolstadtfestival 2023: Viva Cuba

Fotos von Katja Koschmieder und Jens Schulze weiterlesen

In eigener Sache

Wenn die Kraft fehlt
Weshalb der Verlag 8. Mai das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus einstellt

Leider müssen wir heute eine schmerzliche Niederlage eingestehen: Das Magazin für Gegenkultur Melodie & Rhythmus (M&R) kann nicht weiter erscheinen. Das hat verschiedene Gründe, sie sind aber vor allem in unserer Schwäche und in der der Linken insgesamt zu sehen. weiterlesen

*****************

»Man hat sich im ›Grand Hotel Abgrund‹ eingerichtet«
Zum Niedergang des linken Kulturjournalismus – und was jetzt zu tun ist. Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl

Ausgerechnet vor einem heißen Herbst mit Antikriegs- und Sozialprotesten wird M&R auf Eis gelegt – ist das nicht ein besonders schlechter Zeitpunkt?
Ja, natürlich. … weiterlesen

logo-373x100

Facebookhttps://www.facebook.com/melodieundrhythmus20Twitter20rss

Jetzt abonnieren

flashback