Das Gift der Hoffnungslosigkeit
Interview: Christoph Kutzer
Mit »Our Darkness« und »Sleeper in Metropolis« schuf Anne Clark 1984 zwei unsterbliche Club-Klassiker. Doch die Mischung aus Spoken-Word-Performance und treibender Elektronik ist nur eine Facette im Schaffen der musikalischen Literatin, der feinsinnigen Beobachterin menschlicher und gesellschaftlicher Unzulänglichkeiten und der poetischen Verfechterin des Prinzips Hoffnung. M&R sprach mit ihr über Weltschmerz, Metropolen und den Umgang mit persönlichen Krisen.
Vor Ihrer musikalischen Laufbahn hatten Sie eine Menge Jobs. Unter anderem haben Sie in der Psychiatrie gearbeitet. War diese Erfahrung ausschlaggebend für die ersten künstlerischen Gehversuche?
Das war eine der wichtigsten Erfahrungen meiner Jugend. Die Schule war für mich nicht unproblematisch, aber ich bin auf ewig dankbar dafür, dass wir damals diese Praktika machen mussten, die mich in die Psychiatrie geführt haben, wo ich auch später wieder gearbeitet habe. Ich wurde Zeugin, wie die verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft lediglich als Ärgernis betrachtet und weggeschlossen wurden, weil sie verstört waren. Ich spreche jetzt in der Vergangenheitsform, aber das Problem ist mit der Schließung der großen Anstalten nicht verschwunden. In unserer unbarmherzig auf Wettbewerb und materialistische Werte ausgerichteten Gesellschaft ist der Bedarf an Rückzugsmöglichkeiten und Schonräumen eher noch gestiegen. Wir müssen sie allerdings selbst schaffen. Kein System und kein Politiker werden sie je bereitstellen.
»Our Darkness« beginnt mit den Worten: »Through these city nightmares you’d walk with me«. »Self Destruct« stellt fest: »Suicide is an urban disease.« Sind Städte menschenfeindliche Orte?
Ich sehe Städte als riesenhafte Maschinen, in denen die meisten Menschen nur kleine Rädchen sind. Sie drehen sich unaufhörlich im Dienste einer kleinen Minderheit mächtiger, gieriger und wohlhabender Leute. Wenn ich das Wort Gemeinde höre, bekomme ich Gänsehaut. Man mag das naiv nennen oder als Verweigerungshaltung gegenüber dem Fortschritt sehen. Damit habe ich kein Problem. Ich habe viele Gemeinschaften besucht, die versuchen, anders zu leben und anders miteinander umzugehen. Hier und da habe ich mich auch selbst ein bisschen mit eingebracht. Es ist nicht leicht, Alternativen zu entwickeln oder sie zu leben – und es ist sicher nicht jedermanns Sache. Zumindest sollte aber jeder irgendwann seine Rolle innerhalb seines Lebensraums hinterfragen und sich bewusst darüber werden, was er eigentlich tut.
Sie haben ein Stück namens »Weltschmerz« geschrieben. Scheinbar ist dieses Wort im Englischen, aber auch im Polnischen, Schwedischen und Portugiesischen gebräuchlich. Sind die Deutschen Weltmeister im Leiden?
Ich denke, es gibt eine Menge Völker, Religionen und Gruppierungen, die diesen Weltmeistertitel für sich beanspruchen könnten. Deutschland war in der Vergangenheit unstrittig ein Zentrum des Leids und des Leidens – ganz gleich, ob man die Perspektive der Verursacher oder die der Opfer einnimmt.
Das komplette Interview lesen Sie in der M&R 6/2014, erhältlich ab dem 31. Oktober 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.