
Foto: Nullzwo
Die musikalischen Atelierkünstler Nullzwo sind sich selbst auf der Spur
Christoph Schrag
Eine zerknitterte Luftschlange, eine Trillerpfeife, Würfel und ein paar
Münzen. Viel mehr gibt die Hosentasche des Maskierten mit den langen Haaren nicht her. Immerhin schiebt der Kaugummi kauende Tankstellenkassierer dafür ein Fläschchen über den Schalter, dessen Inhalt den Unbekannten auf eine Reise in die eigene Vergangenheit schickt …
Eine Szene aus dem kurzen Roadmovie, das Nullzwo ihrem neuen Album »Strom« vorausgeschickt haben. Es skizziert die Welt, in die uns die Band mit ihrer Musik mitnehmen will: Erinnerungen an eine westdeutsche Kindheit und Jugend. Wir sehen die klassischen Schlaglichter einer Provinzbiografie: Schützenverein, Fußballfeld, Bushaltestelle und körnige Urlaubsvideos. Als Kontrast erscheinen die Insignien des Fernwehs der dort festsitzenden Jugendlichen: Plattenspieler, Kopfhörer und ein alter Sportwagen.
»Lass die Älteren sich selbst zitieren/
Und die Jüngeren sich selbst verlieren.« – Regen
Damit diese Welt und ihre Geister um uns herum lebendig werden, will die Band am liebsten dahinter verschwinden. Entsprechend bedeckt halten sich Nullzwo. Was wir wissen dürfen: Nullzwo sind Pitti Weidenhof (Gitarre, Bass) und Dschingo Herrendienst (Gesang, Schlagzeug). Sie machen seit 2002 miteinander Musik, daher auch ihr Bandname. Sie verstehen sich nicht als Profimusiker, haben kein »mer- kantiles Interesse«, wie Weidenhof im Telefongespräch wissen lässt, und sie fühlen sich in ihrem Werk verkörpert. Kein Interesse an Konzerten oder sonstigen Auftritten, lieber Anonymität hinter zwei Kunstfiguren – einem blauen Wolfsmann und einer Art Schwarz-weiß-Indianer in Jeans. Sie verstehen sich als Atelierkünstler: Im Studio am Werk feilen, bis es fertig ist; dann die Kunst in die Welt entlassen und sich selbst wieder zurückziehen. Plattenverkäufe, volle Hallen oder Fernsehinterviews – Fehlanzeige.
Nullzwo wollen sich mit ihrer Inszenierung vor allem selbst auf die Spur kommen. Sie sind Kinder der 70er und stellen fest, dass Erinnerungen einen immer wichtiger werdenden Teil des Lebens darstellen. Und deren Verarbeitung. Festhalten, um loszulassen. Nicht nur dieses Motiv, sondern auch ihr Sound dürfte in ihrer Alterskohorte das größte Echo finden: schleppende Beats mit melancholisch tropfenden Gitarren und nachdenklichem Gesang. »Strom« erinnert an frühe Alben anderer Kinder der Generation: Blumfeld, Selig, Kante. Aber Nullzwo setzen dem Drängen und Wüten der Originale eine Gravität entgegen, die ihnen die Lebensjahre verleihen. Eher Element of Crime also. Sehnsuchtsvoll bleibt es, aber die Sehnsucht hat die Richtung geändert. Und sie paart sich mit der Bereitschaft, die Welt zu akzeptieren.
»Und selbst, wenn ich nicht mehr bin /
Werd ich bei dir sein.« – Anker
Den Humor verlieren Nullzwo dabei zum Glück nicht. Vor allem in ihren Videos konterkarieren sie die Schwermut der Musik mit einem Sinn für absurde und trockene Komik. In der Mitte des Roadmovies muss der Maskierte mit den langen Haaren den Wagen kriechend verlassen. Fahrerwechsel mit dem Wolfsmann. Das Fläschchen für die paar Kröten war wohl doch nicht das Wahre. Einige Erinnerungen präsentieren Nullzwo offenbar ungeschönt.
Nullzwo Strom
Hey!blau Records
www.nullzwomusik.de
Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 5/2016, erhältlich ab dem 2. September 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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