Melodie & Rhythmus

»Ja, wir sind die Herren der Welt«

27.06.2017 14:50

Bundeswehr
Deutsche Afrika-Missionen damals und heute:
Rommel und seine »Wüstenfüchse« in El Alamein, Bundeswehrsoldat in Gao
Fotos (Montage): bundesarchiv_bild_146-2002-010-05a,_nordafrika,_rommel_bei_el_alamein_recolored.jpg, cc by-sa 4.0; DPA / Kristin Palitza; DPA / Thomas Peter

Während die deutsche Verteidigungsministerin medienwirksam Bundeswehr-Kasernen von Wehrmachtsdevotionalien säubern läßt, werden andere Traditionen von »damals« umso liebevoller gepflegt – manche sogar neu belebt

Susann Witt-Stahl

Hochgradig empört zeigte sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nach der Festnahme des terrorverdächtigen Bundeswehrsoldaten Franco A. Dass die rechtsradikale Gesinnung des Oberleutnants den Vorgesetzten bekannt war und verschwiegen wurde, tadelte sie als »falsch verstandenen Korpsgeist«. Groß war ihr Entsetzen auch, als bei den Durchsuchungen von Kasernen allerlei Wehrmachtsdevotionalien zutage befördert wurden – »Haltungsprobleme«, so die Diagnose der Ministerin. Die Traditionspflege der Bundeswehr bedürfe eines vollständigen Bruchs mit der Geschichte von Hitlers Armee.

Schließlich hatte die Deutsche Wehrmacht Auschwitz erst möglich gemacht und geächtete Kriegspraktiken wie Geiselerschießungen angewendet. Ihre Offiziere galten im NS-Staat als Identifikationsfiguren und wurden als »Geburtshelfer des Dritten Reiches« betrachtet.

Der aktuelle Traditionserlass der Bundeswehr »stammt noch aus der Zeit vor der Wiedervereinigung, vor der Armee im Einsatz, vor der Öffnung der Bundeswehr für Frauen oder vor der Aussetzung der Wehrpflicht, vor unseren prägenden internationalen Kooperationen«, führt von der Leyen als Argument für ihre Forderung nach umgehender Überarbeitung an. Damit legt sie unfreiwillig einen bisher tabuisierten Widerspruch frei: Seit Verabschiedung der Verteidigungspolitischen Richtlinien 1992 (Umbau von einer Armee zur Landesverteidigung in eine Eingreiftruppe zur Durchsetzung des »freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt« und anderer wirtschaftlicher Interessen), zunehmend aggressiver Interventionspolitik und wachsendem Großmachtbewusstsein deutscher Außenpolitik haben sich die Aufgaben und Zielsetzungen der Bundeswehr nicht von denen der Wehrmacht entfernt – sie haben sich angenähert.

Diese Tatsache verhüllen Regierungspolitiker durch öffentlichkeitswirksamen Aktionismus mit dem Gütesiegel »historische Verantwortung«. Wurde die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit in den Streitkräften in der Bonner Republik regelmäßig vertagt oder schlichtweg abgelehnt − seit den 1990er-Jahren wird sich zunehmend von der Wehrmachtstraditionspflege distanziert (bis vor Kurzen jedoch meist folgenlos). Vor allem von der Leyen nutzt jede sich vor Kameras bietende Gelegenheit, um deutlich zu machen, dass sie bei der Bundeswehr gewaltig aufräumen wird. Unlängst kündigte sie an, alle Kasernen mit Namen von Wehrmachtsoffizieren umbenennen zu lassen und eine »Nulllinie« zu ziehen, gemäß der keine Andenken an die Armee Nazi-Deutschlands mehr ohne historische Einordnung ausgestellt werden dürfen.

So lautstark von der Leyen die Verbannung von M35-Helmen und Landser-Bildchen aus der Dekoration von Offizierskasinos und Mannschaftsräumen der Bundeswehr – allenfalls ein symbolischer Akt – dekretiert, so still und leise haben sie und ihre Vorgänger den zentralen Grundsatz der Raison d’être des angeblich von Großmachtbestrebungen geläuterten, demokratischen Rechtsnachfolgers des »Dritten Reiches«, »von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen«, in der Mottenkiste bundesrepublikanischer Außenpolitik verschwinden lassen. Die derzeit 16 Auslandsmissionen mit insgesamt 3.355 Soldaten und Drohkulissen wie große Militärmanöver an den Grenzen der Länder, die ganz oben auf der Speisekarte des westlichen Imperialismus stehen, gelten nicht als notwendiges Übel, sondern als guter Anfang. Deutsche Truppen bewegen sich heute ebenso selbstverständlich auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion und begeben sich in der Ukraine (diesmal auf Einladung der Kiewer Putschregierung) auf die Spuren von Generalfeldmarschall Paulus’ 6. Armee, wie sie nicht weit entfernt der Route des Eroberungszugs von Rommels »Wüstenfüchsen« in Nordafrika operieren.

Entsprechend steht auch die Tradition der Angriffskriege (die Wehrmacht war gegen acht Länder völkerrechtswidrig im Einsatz), die die Bundeswehr wieder pflegt, nicht zur Disposition. Deutschland hat 1999 den Krieg gegen Serbien mit geführt und beteiligt sich bis heute an dem blutigen Besatzungsregime des Westens in Afghanistan – beides Verstöße gegen Art. 2 Ziffer 4 der UNO-Charta (der gemäß unterliegt die Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen einem strengen Verbot). Und die zur Regel gewordenen Verletzungen internationalen Rechts durch den US-amerikanischen Verbündeten werden von der deutschen Verteidigungsministerin nicht weiter beharrlich beschwiegen (eine von bisher allen deutschen Bundesregierungen besonders sorgfältig gepflegte Tradition) − unlängst ist die glühende Transatlantikerin dazu übergegangen, sie öffentlich zu propagieren: »Ich finde es nach wie vor richtig, dass ihm [dem syrischen Präsidenten Assad] da auch sehr klar ein Warnschuss gegeben worden ist«, kommentierte von der Leyen den Luftschlag der USA am 7. April gegen eine syrische Militärbasis südlich von Homs, nachdem sie diverse nachweisliche Falschbehauptungen aufgestellt hatte (u. a. dass belegt sei, dass Assad den Giftgaseinsatz von 2013 zu verantworten habe).

Erst recht nicht zimperlich ist die deutsche Verteidigungsministerin im Umgang mit dem neu entdeckten Feind im Osten. Wenn von der Leyen mit zuchtmeisterlicher Strenge Russland wegen seiner »regelmäßigen Provokationen« rügt und androht, andernfalls werde der Westen »entschlossen reagieren«, dann lässt das nicht nur Veteranen der Mutlanger Anti-Pershing-Proteste das Blut in den Adern gefrieren. Besonders gruselig: 2015 nahm die Bundeswehr in der Nähe der Stadt Lwiw (1941 hatten hier ukrainische Nationalisten, angeheizt von den deutschen Besatzern, ein Pogrom gegen Juden und Polen verübt) u. a. gemeinsam mit ukrainischen Verbänden an dem jährlich stattfindenden NATO-Manöver »Rapid Trident« (schneller Dreizack) teil. Etwa ein Drittel der ukrainischen Truppenkontingente stellte nach eigenen Angaben die Nationalgarde, die sich zu großen Teilen aus faschistischen Freiwilligeneinheiten wie Asow rekrutiert – Banderisten, deren politische Vorfahren mit Nazi-Deutschland kollaborierten, an schweren Kriegsverbrechen beteiligt waren und mit Stolz für sich in Anspruch nehmen, in der Tradition des ehemaligen ukrainischen Wehrmachtsbataillons Nachtigall zu stehen. Seit Beginn der Ukraine-Krise werden auch immer wieder verwundete Kämpfer der Faschisten-Milizen nach Deutschland eingeflogen und in Bundeswehrkrankenhäusern (Berlin, Hamburg, Koblenz, Ulm) behandelt.

Eine Regierung, die trotz Auschwitz derart unbefangen an einst von der Wehrmacht exekutierter deutscher Expansionspolitik anknüpfen, mit einer Verteidigungsministerin, die im Duktus einer Kriegspatriarchin (»meine Soldatinnen und Soldaten«) spricht, ein Ende der »Kultur militärischer Zurückhaltung« und »Deutschland muss eine Führungsrolle in Europa einnehmen« fordert, muss läs tige Erinnerungen tilgen. Wenn von der Leyen das Bundeswehr-Liederbuch »Kameraden singt!« nach jahrzehntelangen vergeblichen Protesten aus dem Verkehr zieht, dann ist das kein Ergebnis einer gewachsenen vergangenheitspolitischen Sensibilität. Es ist, ganz im Gegenteil, eine von vielen ideologischen Maßnahmen zur Verschleierung historischer Kontinuitäten, die eine reibungslose Umsetzung der aktuellen Verteidigungspolitischen Richtlinien objektiv verlangt. So lange, bis Soldaten mit »Babi Jar« nur noch ein bewaldetes Naherholungsgebiet vor den Toren Kiews assoziieren und perspektivisch auch wieder bei der Frontmeldung »Hier ist der Schwarzmeerhafen auf der Halbinsel Krim« (wie sie »damals« vom Großdeutschen Rundfunk gesendet wurde) Glückshormone ausschütten können. Eine lahme Truppe singt vom Krieg, ein starke gewinnt ihn: Chauvinistische Lieder mit Zeilen wie »Ja, wir sind die Herren der Welt« sind nicht mehr relativ harmlose Wehrmachts-Nostalgie − ihre Imperative finden sich längst wieder in den Marschbefehlen einer deutschen Armee im unbegrenzten Einsatz.

Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie & Rhythmus 3/2017, erhältlich ab dem 30. Juni 2017 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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