Mit Kulturindustrie oder Gegenkultur den Kampf gegen rechts gewinnen?
Dem deutschen Faschismus gelang es, durch den Pakt mit dem Großkapital kleinbürgerliche Ideale zur Massendoktrin zu erheben: »Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!«, ätzte Propagandaminister Joseph Goebbels am 10. Mai 1933 während der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz. Rührselige Schlager sollten das »deutsche Herz« bewegen, in Gedanken an die Wehrmachtssoldaten, die andere Länder überfielen – und fielen. Mit einer Jazz-Propagandaband versuchten die Nazis, die Soldaten der Alliierten zur Fahnenflucht zu bewegen.
Antifaschistische Musiker stellten sich dagegen. Bertolt Brecht und Hanns Eisler schufen das »Einheitsfrontlied« gegen die Faschisten, und Ernst Busch kämpfte an der Seite der Internationalen Brigaden für die Spanische Republik. Musik ästhetisiert und inszeniert nicht nur die politische Realität. Sie kann auch aufklären und zum Widerstand ermutigen. Aber wie? Durch Anpassung an die Trends der kommerziellen Unterhaltungs- oder durch kritische Distanz und eine konsequente Gegenkultur? Wir lassen die These diskutieren:
Antifaschistische Musik muss am Mainstream orientiert sein, um politische Wirkungsmacht zu entfalten
PRO
Nicht die Aufgeklärten aufklären
In der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und Rechtskonservatismus ist die politische und popmusikalische/ popkulturelle Unterscheidung in Mainstream und Subkultur dysfunktional. Faschismus und Antifaschismus sind gesamtgesellschaftliche Phänomene, mit denen sich nur angemessen auseinandergesetzt werden kann, wenn man gemeinsam etwas zu einer gemeinsamen Sache macht – und dabei wechselseitig voneinander lernt und aufeinander zugeht. Antifaschistische Musik muss daher im Mainstream stattfinden und darf nicht allein speziellen Szenen vorbehalten sein. Sie muss sich an alle Antifaschisten in der Gesellschaft richten und diese in ihrem Engagement gegen rechts unterstützen.
In der antifaschistischen Musik aus der Subkultur, etwa in den Songs der Hamburger Punkband Slime, und aus dem Mainstream, etwa durch die Charterfolge der Party-Punkband Die Ärzte (»Schrei nach Liebe«), der Deutschrock-Band BAP (»Kristallnaach«) oder des Band-Projekts Brothers Keepers (»Adriano«), werden Haltungen gegen rechts vermittelt, die Kommunikation erzeugen. …
Marcus S. Kleiner ist Professor für Medienmanagement mit dem Lehrgebiet Live- Kommunikation an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Macromedia am Campus Stuttgart und Experte für populäre Medienkulturen. Foto: Marvin Böhm
medienkulturanalyse.de
CONTRA
Antifa-Musik muss Kante zeigen
Damit Antifaschismus Bewegung wird, braucht er einen Soundtrack – das ist der Minimalanspruch für eine antifaschistische Band. Antifaschismus ist dabei weit mehr als der breite und inzwischen hochoffizielle Konsens, dass die Leute von der NPD und ihre Vorgänger und Mitläufer nicht die Guten sind. Er ist eine Gegenbewegung zum herrschenden kapitalistischen Herrschafts- und Wertesystem, zum politischen Mainstream.
Antifaschismus ist nicht zuletzt Rebellion – Auflehnung gegen »das System«, das es bis heute verhindert hat, die Welt zu einem friedlichen und entspannten Ort zu machen. Natürlich können Rebellen nicht die Musik hören, die allen anderen auch gefällt, den Mitläufern und Stützen des Establishments. So gesehen ist das Musizieren gegen den Mainstream die Conditio sine qua non, um als antifaschistische Band von der Peergroup akzeptiert zu werden und somit Einfluss auf deren Denken, Fühlen und Handeln nehmen zu können. …
Die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot wurde im Herbst 1986 von Künstlern, Studenten und politischen Aktivisten in Berlin-Prenzlauer Berg gegründet. Die Band ist in schlagkräftiger Besetzung mit 17 Frauen und Männern unterwegs. Foto: Susanne Schleyer bolschewistischekurkapelle.org
Die kompletten Debattenbeiträge lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 3/2015, erhältlich ab dem 30. April 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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