Halbwahrheiten in den Medien
Interview: John Lütten
In Krisenzeiten erblühen wilde Fantasien. Meinungen werden zu Tatsachen erklärt, Fakten mit Fiktionen vermischt. Die Literaturwissenschaftlerin Nicola Gess, Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel, hat eines der wichtigsten Instrumente des sogenannten postfaktischen Diskurses untersucht. In ihrem jüngst veröffentlichten Buch »Halbwahrheiten. Zur Manipulation von Wirklichkeit« analysiert sie einen »zynischen Wahrheitsbegriff« der bis hinein in die Leitmedien wirkt, verbunden mit einer »pragmatischen Erfolgsethik, die alles für wahr hält, was ihr nützt«. M&R sprach mit Nicola Gess über das Wesen von Halbwahrheiten, die Gründe für deren wachsenden Einfluss und die mangelnde Effizienz von Faktenchecks.
Sie befassen sich mit Halbwahrheiten im sogenannten postfaktischen Diskurs – es geht also um Manipulationen und Falschbehauptungen?
Jedenfalls um eine bestimmte Art von Falschbehauptungen. Denn an Halbwahrheiten ist immer auch etwas Wahres dran. Es geht um Äußerungen, die Fakt und Fiktion vermischen, reale Sachverhalte umdeuten, übertreiben oder in falsche Zusammenhänge stellen. Halbwahrheiten wirken manipulativ, weil sie überzeugend erscheinen, obwohl sie faktisch unhaltbar sind. Während die Lüge ex negativo an die Wahrheit gebunden bleibt, öffnen Halbwahrheiten die Tür zu einem »postfaktischen« Universum, in dem die Unterscheidung von Wahr und Falsch verschwimmt und durch ganz andere Kriterien ersetzt wird.
Aber gab es das Problem nicht schon immer?
Halbwahrheiten sind in der Tat nichts Neues – ihre Konjunktur ist aber heute eine andere. …
Das komplette Interview erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2021, erhältlich ab dem 19. März 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.