
Foto: dpa / Daniel Bockwoldt
Europa will seine Kolonialgeschichte mit Restitution bewältigen
Während afrikanische Flüchtlinge mit zunehmender Rücksichtslosigkeit von den EU-Außengrenzen abgehalten werden, widmen sich die Europäer einem der dunkelsten und bislang weitgehend ausgeblendeten Kapitel ihrer Geschichte: den Verbrechen des Kolonialismus. Inspiriert von der Initiative der französischen Regierung für die Rückgabe geraubter afrikanischer Kulturgüter, plädiert auch die deutsche Staatsministerin Michelle Müntefering für einen »Dialog auf Augenhöhe« und eine Partnerschaft mit Afrika. An diesem Vorstoß scheiden sich allerdings die Geister. Die einen sehen darin vor allem einen Versuch, die Kontinuität von Ausbeutung und Unterdrückung zu verschleiern, und verlangen ein Umdenken in der europäischen Afrika-Politik. Die anderen sehen in ihm eine notwendige Voraussetzung, um eine neue afrikanische Identität zu schaffen, und fordern eine bedingungslose Restitution. Wir lassen folgende These diskutieren:
Die von Europa lancierte Restitutionspolitik dient der Verschleierung der Kontinuität von Ausplünderung und Unterdrückung.
PRO
Der Raub geht weiter
Seit vielen Jahren setzen sich Länder in Afrika und in Europa lebende Menschen afrikanischer Abstammung für die Rückgabe von Kunstgegenständen ein, die vor und während der kolonialen Besetzung des Kontinents gestohlen wurden. Ebenso lange stoßen diese Forderungen auf taube Ohren. Europäische Staaten, Museen und Privatleute bestehen darauf, dass diese Gegenstände ihr legitimes Eigentum seien. Ihre Unnachgiebigkeit stützt sich auf ein imperiales Prinzip, nach dem die Kolonisierten über die Zugehörigkeit zum Kolonisator definiert werden. Folglich gehört alles ihm, was sich dieser von den Kolonisierten angeeignet hat.
Unlängst riefen einige europäische Politiker einen Neubeginn der Beziehungen zu Afrika aus. Der französische Präsident Emmanuel Macron etwa scheint die Rückführung bis auf wenige Vorbehalte zu befürworten. …
Faisal Garba lehrt an der Universität Kapstadt und der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Er promovierte in Soziologie mit den Schwerpunkten Migration und Arbeitskämpfe. Seine jüngste Studie »Masons and Maids: Class, Gender and Ethnicity in Migrant Experience« erschien im Oktober 2018. Foto: privat
CONTRA
Wiederbelebung eigener Kräfte
Die Frage nach der Legitimität der Restitution afrikanischer Kunstwerke belegt eine historische Blindheit innerhalb der europäischen Debatte. Denn wer hat sie geraubt? Ende des 19. Jahrhunderts brauchte das Europa der industriellen Revolution neue Bodenschätze. Auf der Berliner Konferenz von 1884 teilten die USA und die Europäer Afrika unter sich auf, wobei sie ihren Griff nach den Reichtümern des Kontinents mit dem Label »zivilisatorische Mission« schmückten. Der belgische König Leopold II. entsandte seinen Klerus, »um den Beamten und Industriellen die Arbeit zu erleichtern«, indem er das Evangelium auf eine Weise auslegte, »mit der unseren Interessen in jener Gegend der Welt am besten gedient« sei. Die Geistlichkeit trat gegen religiöse Überzeugungen an, für die rituelle und magische Objekte wie Masken, Statuen oder Totemfiguren eine wichtige Rolle spielten − sie verleihen Mythen der afrikanischen Religionen mit ihrer Kosmologie eine materielle Gestalt. Es waren nie Kunstobjekte im musealen Sinne! …
Martin Ambara geboren 1970 in Jaunde in Kamerun, ist Autor und Regisseur. Er absolvierte Ausbildungen in Schauspiel und Regie u.a. bei Frédéric Fisbach. 1999 gründete er zusammen mit einem Kollegen seine eigene Schauspieltruppe, Les Ménestrels. Seit 2010 verfügt sie mit dem OTHNI – Laboratoire de théâtre de Yaoundé über eine eigene Wirkungsstätte. Foto: privat
Dei komplette Debatte erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2019, erhältlich ab dem 22. März 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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