
Illustration (Montage): Käthe Kollwitz: »Solidarität«
Der Begriff »Gegenkultur« entstammt einer linken Tradition. Der M&R-Entwurf eines Manifests für Gegenkultur, den wir in M&R 1/19 veröffentlicht haben, war ein Versuch, ihm ideologiekritische Konturen zu geben und ihn historisch zu erden. Vor dem Hintergrund der Faschisierung, zumindest Rechtsentwicklung der westlichen Welt (wie sie sich aktuell dramatisch in Südamerika vollzieht), die von der Beschwörung eines »Kampfes der Kulturen« begleitet wird, soll er noch mehr ein Fanal sein. »¡No Pasarán!« − der Imperativ der antifaschistischen Internationale muss nicht nur auf der Straße, auch auf den Theater- und Konzertbühnen wirkmächtig sein. Es ist Zeit, dass fortschrittliche Künstler und Intellektuelle sich organisieren und zusammenstehen.
Um so einen Formierungsprozess mit anzustoßen, bedarf es Debatten, des Austauschs von Informationen und Ideen − eines Forums der Begegnung, das M&R als Magazin und mittlerweile auch Institution für Gegenkultur mit einer eintägigen Künstler-Konferenz schaffen will. Die Veranstaltung wird aus Vorträgen, Panels, Interviews, Rezitationen, satirischen Interventionen und Performances bestehen.
Der erste Teil der Konferenz wird Diagnosen gewidmet sein. Der »Anschwellende Bocksgesang« − wie der Dramatiker Botho Strauß seine programmatische Streitschrift für eine rechte Kulturwende von 1993 betitelte − in Kunst- und Kulturproduktion, Geistes- und Kulturwissenschaften ist nicht zu überhören. Flan-kiert von dem ohrenbetäubenden Schweigen eines »unpolitischen« kommerziellen Mainstreams, der mit seiner »Standpunktlosigkeit« immer auf der Seite der Macht verortet ist, und einer neoliberalen Subkultur, die hinter der Maske linker Opposition rechte Politik durchwinkt. Etablierte Kultur fungiert nicht mehr nur, wie in der kapitalistischen Gesellschaft bisher gewohnt, als Fluchthelfer vor dem Wissen um die Veränderbarkeit der Welt und dem Gedanken an Widerstand. Sie dient auch zunehmend (wieder) der Ausgrenzung und Abstoßung alles »Fremden«, einem Eliten-Chauvinismus gegen die Lohnabhängigen, der Diskreditierung von Frieden, Internationalismus, alles Sozialen und des Kollektivs wie der Reklame für die Atomisierung des Menschen, die als »Individualität« angepriesen wird − nicht zuletzt der Propagierung eines jeglichen emanzipativen Gehalts entleerten Begriffs von Freiheit, der auf das Recht des Stärkeren pocht, sich alles zu nehmen. Dabei geht es um nichts weniger als um die Eliminierung der konkreten Utopie des »Vereins freier Menschen«.
Diese Tendenzen sollen im Kontext des Aufschwungs rechter und des Verschwindens und Niedergangs linker Kulturmedien beleuchtet werden. Es zeichnen sich gefährliche Eindimensionalisierungsprozesse ab. Es gibt kaum mehr von der Kulturindustrie (auf der ideologischen Ebene das wichtigste Vehikel für die permanente Durchsetzung kapitalistischer Herrschaft) unabhängige Zeitungen und Magazine. Nicht nur für den Politik-, auch für den Kulturjournalismus gilt: Wer es noch wagt, als integre Vierte Gewalt zu wirken, wird als Fünfte Kolonne »feindlicher Mächte« geächtet. Hemmungslose Kommerzialisierung, eine immer skrupellosere Meinungsmache zugunsten »deutscher Interessen« (der Interessen des deutschen Kapitals) und eine Ästhetisierung der Politik − die auf Ablenkung der berechtigten Wut der Abgehängten und Beleidigten von oben nach unten zielt, um die diese knechtenden Eigentumsverhältnisse aufrechtzuerhalten − treiben die Neutralisierung von Objektivität und aufklärerischen Gehalten voran und vereiteln nahezu jeden Ansatz der Politisierung der Kunst und Herausbildung einer proletarischen Kultur.
Im zweiten Teil der Konferenz werden mögliche Perspektiven für die Kunst »im Zeitalter ihrer gesellschaftlichen Hintergehbarkeit« (Moshe Zuckermann) abgeklopft. Inwiefern sind interventionistische linke Kunst und politisch engagierte Gegenkultur überhaupt noch möglich gegen die Übermacht der Unterhaltungskonzerne, ohne dass systemkritische Inhalte entweder hermetisch ausgegrenzt oder, wie es mehr und mehr mit der Antifa-Popkultur geschieht, durch Vermarktung und Integration entstellt oder getilgt werden? Welche subversive Kraft vermögen Satire und Humor noch zu entfalten? Wie können in einer Gesellschaft im Bann eines totalitären Kapitalismus revolutionäre Potenziale der Kunst freigesetzt werden? Zu einem Kunst- und Kulturschaffen, das danach strebt und die ideologischen Fallstricke einer Kulturindustrie reflektiert, die neben dem Protest gegen sie auch das Vergessen in ihr Warensortiment aufgenommen hat, gehört auch ein dem Weltveränderungspostulat verpflichtetes Geschichtsverständnis. Es gilt, Erinnerung als Mission der Rettung der Verfolgten und in Klassenkämpfen Besiegten, aber nicht Widerlegten zu begreifen − nicht zuletzt vor der Ausplünderung für die Interessen der Herrschenden, vor allem aber für eine zeitgemäße Weiterführung ihres die befreite Gesellschaft einklagenden Vermächtnisses. Es muss diskutiert werden, wie diese Erkenntnis heute in einer antifaschistischen Kunst umgesetzt werden kann, die sich angesichts des aggressiven Vormarschs der Rechten auch als Kampfkunst beweisen muss.
Den Abschluss der Künstler-Konferenz bildet eine Kultur-Gala mit Liedern und Songs, Gedichten und Geschichten, Kompositionen und Rezitationen, die gemeinsam haben, dass sie von der internationalen Solidarität unter allen getragen ist, die unerschütterlich festhalten an der Gewissheit: Eine ganz andere Welt ohne Ausbeutung, Faschismus und Krieg ist möglich. Aber sie wird uns nicht geschenkt − wir müssen sie erstreiten.
red
Das Line-up für die Konferenz und Gala ist noch in Arbeit und wird laufend aktualisiert. Ihre Teilnahme zugesagt haben bereits: Konstantin Wecker (Liedermacher), Esther Bejarano (Sängerin), Moshe Zuckermann (Kunsttheoretiker), Rolf Becker (Schauspieler), Volker Lösch (Theaterregisseur), Chris Jarrett (Pianist), Nicolaus A. Huber (Komponist), Mesut Bayraktar (Schriftsteller), Wieland Hoban (Komponist), Diego Castro (Frontmann der Band Black Heino).
M&R-Künstler-Konferenz
Samstag 8. Juni 2019 Berlin
Heimathafen Neukölln Karl-Marx-Straße 141
Konferenz: 10.30 Uhr / Einlass: 9.30 Uhr
Kultur-Gala: 20 Uhr / Einlass: 19.30 Uhr
Tickets: melodieundrhythmus.com, jW-Ladengalerie oder unter: 030-55 63 55 56
Lesen Sie in der gedruckten Ausgabe Melodie & Rhythmus 2/2019:
MANIFEST FÜR GEGENKULTUR
RESONANZEN
Von Konstantin Wecker (Liedermacher, Komponist), Dietmar Dath (Journalist, Schriftsteller, Übersetzer), Redaktion Nous. (Magazin für neue Literatur), Nicolaus A. Huber (Komponist), Rolf Becker (Schauspieler), Aydın Çubukçu (ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift Evrensel Kültür, die 2017 in der Türkei verboten wurde, -heute Autor der Zeitschrift Yeni E.), King Veganismus One & Dr. Alsan (Satire-Rap-Band).
Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2019, erhältlich ab dem 22. März 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.