Galionsfigur einer progressiven Popkultur oder Mainstream-Entertainerin?
Lady Gaga nimmt für sich in Anspruch, die Popmusik zu revolutionieren. Entsprechend bemüht sie sich, mit noch nicht Dagewesenem aufzufallen. Mit ihren Kreationen sorgt sie regelmäßig für Furore. Fast schon legendär ist ihr Kleid aus rohem Rindfl eisch, das sie bei den MTV Video Music Awards 2010 trug. »Wenn wir uns nicht für das einsetzen, woran wir glauben, und nicht für unsere Rechte kämpfen, haben wir bald nicht mehr Rechte als das Fleisch auf unseren Knochen«, kommentierte sie ihren bizarren Auftritt. Ein Jahr später trat sie als Dragking unter dem Namen Jo Calderone auf.
Karikiert Lady Gaga vorherrschende Schönheitsideale und patriarchale Frauenbilder? Taugt sie als Galionsfi gur für ein neues Verständnis von Feminismus? Oder betreibt sie vielmehr eine geschickte Vermarktung ihres Körpers? Bedient die Kunstfigur, die Stefani Germanotta – so ihr bürgerlicher Name – geschaffen hat, letztlich Mainstream-Interessen, oder hat sie gar subversives Potenzial? Und ist das, was sie verkörpert, denn überhaupt so neu? Wir lassen die These diskutieren:
Lady Gaga verkörpert eine neue Form des Feminismus und eine progressive Popkultur
PRO
Die Pop-Revolutionärin
Lady Gaga kann nicht von sich behaupten, dass sie versucht, die Popmusik zu revolutionieren – sie hat sie revolutioniert! Vor sechs Jahren erschien sie in der internationalen Musikszene und landete gleich einen Hit nach dem anderen, mit Songs wie »Just Dance«, »Poker Face« oder »Bad Romance«. Seitdem ist ihr etwas gelungen, von dem viele dachten, dass es überhaupt nicht mehr möglich sei – nämlich im Zeitalter der digitalen Downloads noch eine Karriere als großer Popstar hinzulegen. Jenseits der alten, längst abgenutzten und stumpf gewordenen Popmusik-Konzepte, die von der gierigen, Teenager erpressenden und missbrauchenden Musikindustrie aufrecht erhalten werden konnten, hat Lady Gaga Pop gänzlich neu erfunden. …
Mathieu Deflem ist Professor für Soziologie an der Universität von South Carolina. Er forscht unter anderem zur Populärkultur. Seine Veranstaltung »Lady Gaga and the sociology of the Fame« erregte weltweit Aufmerksamkeit.
mathieudeflem.net
CONTRA
Madonnas Erbin
Ein doppeltes Nein – das ist zu beiden Punkten der These zu sagen.
Fangen wir mit dem zweiten Teil an und fragen: Verkörpert Lady Gaga eine Popkultur, die fortschrittlich ist, die also etwas Neues, Veränderndes bietet? Die Antwort: nein, weil sie sich, aus musikalischer Sicht, von ihren Produzenten moderne Dance-Sounds zusammenbasteln lässt, die über die seit Jahrzehnten dem breiten Pop-Publikum bekannten Harmoniegefüge nicht hinausgehen – von den Texten, die überwiegend die übliche Liebeslyrik des Pop wiederholen, ganz zu schweigen. Kurz gesagt: »Gaga-Musik« bietet nichts revolutionär Neues und bleibt Mainstream. …
Thorsten Schatz ist Schriftsteller, Musikjournalist und Autor von 18 Pop-Biografien, gemeinsam verfasst mit Michael Fuchs-Gamböck. Eine davon, die im VGS-Verlag erschienen ist, trägt den Titel »Lady Gaga«.
www.wort-schatz.net
Die komplette Debatte lesen Sie in der M&R 2/2015, erhältlich ab dem 27. Februar 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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