Oder anders gefragt: Kennen Sie die Wirkung von Filmmusik? »Sicher«, werden Sie denken, »die kennt doch jeder«. Wir haben trotzdem ein Experiment für Sie vorbereitet. Gehen Sie bitte in Ihr Lieblingskino und kaufen Sie eine Karte für die erste Reihe. Wählen Sie unbedingt einen Film, der als Blockbuster bekannt ist. Egal, ob darin gestorben oder geknuddelt wird, die Strickmuster sind immer gleich: Am ersten Wendepunkt der Handlung wächst der zögerliche Held über sich hinaus. Er lässt alles zurück und begibt sich auf eine gefährliche Reise, um den Präsidenten, die Welt oder seine Liebste zu retten. In diesem Moment schwillt die Musik an, und die Herzen der Zuschauer schnüren sich zu. Das ist Ihre Minute. Stehen Sie auf und fotografieren Sie die Zuschauer. Sie können das Experiment im letzten Drittel des Films wiederholen, wenn der Held nach gelungener Tat heimkehrt und seine Liebste in die Arme schließt. Das Bild auf Ihrem Foto ist immer gleich: Alle Zuschauer haben Tränen in den Augen.
Das ist die Wirkung von Filmmusik.
Es geht aber auch anders. In den 70er und 80er Jahren wurde die Serie »Polizeiruf 110« zur Sammelstelle für minimalistisch inspirierte Komponisten. Alle zehn Minuten quengelte eine E-Gitarre für maximal zwei Sekunden, gefolgt von einem einzelnen Akkord auf dem E-Piano. Mehr nicht. Niemand musste weinen. Der Blick war frei für Oberleutnant Hübner und den Ganoven, der meistens Henry Hübchen hieß.
Es geht aber noch anders. In der dialektischen DDR entstand zur gleichen Zeit eine Filmmusik, die sich über die Grenzen des Landes hinaus verbreitete. Günther Fischer komponierte mit »Solo Sunny « vielleicht nicht sein Magnum opus, aber mit Sicherheit sein berühmtestes Lied für einen der berühmtesten Filme der DDR. Gleichzeitig schrieb er Musik für Filme, von denen das ZK der SED nichts wissen musste, weil sie außerhalb der heimischen Suppenschüssel gedreht wurden. Dieser Mann hat viel zu erzählen, und Sie können es lesen: ab Seite 44.
Auch Micki Meuser ist schon lange im Geschäft. In seinem Essay schreibt er über die Wechselwirkung von Film und Musik und erklärt, was ein Filmkomponist eigentlich macht (S. 40). Die Kinderlied-Legende Christian Bruhn spricht im Interview über den Heidi-Fluch (S. 80), der Komponist Jan A.P. Kaczmarek über die Frage, ob Film auf Musik angewiesen ist (S. 49), der Regisseur Uwe Flade über die positiven Aussichten für Musikvideos (S. 50), und der Sounddesigner Matthias Schwab beleuchtet die Welt der knarrenden Türen (S. 48).
Ein Geschenk haben wir diesmal nicht für Sie, Weihnachten ist vorbei und Ostern weit weg. Wir wissen aber, wie Sie sich und Ihrem Lebensabschnittspartner eine Freude machen können: mit zwei Kinokarten für die Pärchenbank und einer Soundtrack-CD fürs Kuscheln danach. Die Musik von »Thelma & Louise« kittet jede Beziehungskrise. Und falls nicht, denken Sie daran: Schluchzt die Liebste immer schlimmer, ist der Sound von Hansi Zimmer.
Herzlichst,
Ihre m&r-Redaktion
