Jüdische Proteste gegen die israelische Besatzungspolitik werden mit den »Judenboykotten« der Nazis gleichgesetzt
Fotos: Reuters / Abed Omar Qusini / Bundesarchiv_Bild_183-r70355
Die Zeitschrift Texte zur Kunst erntet für ihre »Anti-Antisemitismus«-Ausgabe heftige Kritik von internationalen linken Kulturschaffenden
Mit ihrer Herbstausgabe wollte die Redaktion des Magazins Texte zur Kunst (TzK) mit prominenter Unterstützung des Tocotronic-Frontmanns Dirk von Lowtzow einen »Antisemitismus von links« entlarven. Der Zugang zu den damit verbundenen Themenfeldern und Fragestellungen, so versprach sie, sei divers, multiperspektivisch und »jenseits vorhersehbarer Skandalisierung«.
Aber schon im ersten Beitrag werden die schwersten Ideologiegeschütze in Stellung gebracht, die im Täterland zu haben sind. »Historisch war der ›Judenboykott‹ eine Vorstufe zur Massenvernichtung. Seine Aktualisierung vernachlässigt empathielos die jüdische Erfahrung der Shoah«, holt Aram Lintzel, Referent für Kulturpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, gegen die zivilgesellschaftliche Kampagne Boykott, Desinvestitionen and Sanktionen (BDS) aus, deren Kernforderung das Ende der völkerrechtswidrigen Besatzung palästinensischer Gebiete durch Israel ist. Damit schließt Lintzel nahtlos an die das Judentum mit Israel gleichsetzende Propaganda der Netanjahu-Regierung an, die wegen ihrer rassistischen Politik gegen die arabische Minderheit und gegen Flüchtlinge von Rechtsradikalen aus der ganzen Welt hofiert wird. Ebenso mit seinem Versuch, internationale – darunter viele jüdische – Linke, die BDS unterstützen, als historische Nachfolger der Nazimassenmörder zu stigmatisieren.
Daniel Laufer setzt in seinem Artikel unter dem Titel »Pseudohumanismus« noch einen drauf und unterstellt allen BDS-Unterstützern und -Verteidigern eine »Entmenschlichung von Jüd*innen«, wie sie von Heinrich von Treitschke (»Die Juden sind unser Unglück«) betrieben worden ist. Leon Kahane bezichtigt die linken Anhänger des ehemaligen Vorsitzenden der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, eines »ausgeprägten Antisemitismus«, ohne auch nur einen Beleg für seine Behauptung zu erbringen. Meron Mendel und Tom David Uhlig heizen die Hetzkampagne gegen Achille Mbembe weiter an und werfen ihm eine »Dämonisierung und Delegitimierung Israels« vor; der kamerunische Philosoph hatte die Unterdrückung der Palästinenser mit dem Apartheidregime in Südafrika verglichen.
Palästinensische Stimmen kommen, wie gewohnt vom der deutschen Staatsräson verpflichteten Israel-Diskurs, nicht zu Wort – eine ganz bewusste Entscheidung, wie dem Vorwort der Ausgabe zu entnehmen ist. Das gilt auch für Vertreter der jüdischen Linken, die als »jüdische Kronzeug*innen« verächtlich gemacht werden.
Umso prominenter ist die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) vertreten – eine Institution, die vorwiegend vom Bundesfamilienministerium finanziert wird. In ihrem Stiftungsbeirat sitzt der Inlandsgeheimdienstchef von Thüringen, TzK-Autor Leon Kahane leitet das Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst der AAS, Tom Uhlig ist Autor des AAS-Organs Belltower News, Daniel Laufer Mitarbeiter des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, dessen Vertrauensdozentin wiederum Anetta Kahane, die Vorsitzende der AAS, ist. Und Dirk von Lowtzow ist Pate der AAS-Aktionswochen gegen Antisemitismus. Die Stiftung hat sich offiziell die Bekämpfung des Rechtsextremismus auf die Fahnen geschrieben, attackiert aber mit fragwürdigen Antisemitismusvorwürfen, die aus dem Repertoire neoliberaler Rechter stammen, seit Jahren zunehmend aggressiv die internationale Linke, jüngst sogar den antikapitalistischen Flügel von Black Lives Matter.
Doch der Kampagnenjournalismus der TzK stößt auch auf heftigen Widerspruch. So bescheinigte ihnen die Kunsthistorikerin Sarah E. James in einem Artikel im Art-Monthly-Magazin ein instrumentelles Verhältnis zum Anti-Antisemitismus, wie es etwa in der Alt-Right-Bewegung in den USA zu finden sei. Ähnlich Alia Malak, Sprecherin der palästinensischen Kampagne für den Kulturboykott Israels, gegenüber M&R: »Statt deutsche Neofaschisten und andere extreme Rechte weltweit zu isolieren, legen sich elitäre Kulturinstitutionen mit ihrer schamlosen Verteidigung von Verbrechen der rechtsradikalen israelischen Regierung lieber ins Bett mit ihnen.« Auch andere Kunstschaffende, darunter der Videokünstler Dani Gal, äußerten sich in einem gemeinsamen Brief empört über die Diffamierung linker Palästina-Solidarität: »Wir fanden diese Ausgabe rassistisch, schlecht recherchiert und gefährlich, weil sie unter dem Deckmantel einer kritischen Untersuchung bewusst jede Perspektive ausschließt, die eine Neuverpackung der deutschen Staatspolitik infrage stellt.« Selbst einige Beiratsmitglieder der TzK-Redaktion sind mittlerweile auf Distanz gegangen: Die »Identifikation der von durchaus heterogenen Kräften getragenen Organisation des BDS mit Antisemitismus«, heißt es in ihrer Erklärung, sei »politisch fatal«.
red
Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 1/2021, erhältlich ab dem 18. Dezember 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.