Deutschsprachige Songs im Hörfunk, Chile beim »Festival Musik und Politik« und eine ganz spezielle Hitparade: Ein Gespräch mit der Journalistin und Moderatorin Petra Schwarz
Gespräch: Gerd Schumann, Fotos: Steffen Jänicke, quilapayun.com
Liedermacher ist ein Begriff, der nach Vergangenheit klingt, oder?
In der sogenannten Medienöffentlichkeit sicherlich. Es gibt immer weniger spezielle Hörfunksendungen mit Liedermachern. Das merken wir mit der »Liederbestenliste« auch.
Was ist die »Liederbestenliste«?
Monatlich wählt eine 20-köpfige Jury Songs, die ihrer Meinung nach eine größere Öffentlichkeit verdient hätten.
Wer sitzt in der Jury?
Expertinnen und Experten aus vier Ländern, die mit dem Thema Lied beruflich zu tun haben. Ich bin z.B. seit Ende der 80er Jahre dabei, als ich bei Jugendradio DT 64 eine wöchentliche Sendung hatte, die »Songs – Lieder mit Grips« hieß. Wenn man einmal für so was brennt, lässt einen das nicht mehr los.
Und einmal im Jahr wird der »Liederpreisträger« gekürt?
Ja, den Preis bekommt das Lied mit den meisten Punkten in einem Wertungszeitraum von sieben Monaten. Da ist eine illustre Liste entstanden. Konstantin Wecker, Hans- Eckardt Wenzel, Franz Josef Degenhardt, André Heller, Dziuk, Stoppok, Reinhard Mey … Und wir vergeben auch jedes Jahr einen Förderpreis, den 2012 CaroKisteKontrabass. aus Kassel bekommen haben. Die treten dann übrigens am 22.02.2013 beim »Festival Musik und Politik« im Konzert »Liederbestenliste präsentiert« auf – neben Maike Rosa Vogel und Barbara Thalheim.
Bald 30 Jahre hat die Liederbestenliste als Hörfunkformat auf dem Buckel. Wie kam es dazu?
Das war wohl als Pendant gedacht zur Bücherbestenliste, die damals schon länger im Südwestfunk erfolgreich lief.
1983 wurde die Sendung erstmals ausgestrahlt. War das nicht reichlich spät – schließlich hatte die Liedermacherbewegung schon zwei Jahrzehnte auf dem Buckel …?
Dazu kann ich als »alte Ostfrau« nicht wirklich etwas sagen. Aber Sie haben natürlich recht. Tatsächlich gab es die Liedermacher schon seit langem, übrigens auch in der DDR, Hootenanny, Singebewegung und so. Aber gut, der Westen guckte ja nicht so oft in den Osten wie wir als Ossis gen Westen …
Wie sind Sie selbst beim Hörfunk in der DDR gelandet?
Mein Berufsleben fing 1981 beim Berliner Rundfunk an, wo auch DT 64 lief. Da habe ich zehn Jahre Musik- und Kulturjournalismus gemacht und Jugendradio DT 64 als Vollprogramm mit entwickelt. Von Hause aus bin ich Kulturwissenschaftlerin und habe auch selbst Musik gemacht. Ich war im Oktoberklub und hatte dadurch viel mit dem Festival des politischen Liedes zu tun.
Das war das größte Musik-Festival der DDR …
Es lief jedes Jahr zehn Tage lang in allen großen Häusern Berlins, Volksbühne, Friedrichstadtpalast, Werner-Seelenbinder- Halle … nebst kleineren Clubs, bespielt von Künstlern aus aller Welt. In der Regel hatten wir 70, 80 Gruppen zu Gast. Der DDR-Rundfunk und auch das DDR-Fernsehen haben entweder live übertragen oder aufgezeichnet und alles gesendet. Viele Stunden …
Und Sie lernten durch Ihre Arbeit beim Festival Rundfunkleute kennen …?
So war‘s. Die meinten: »Wenn du mit dem Studium fertig bist, kannst du doch zu uns kommen.« Heute fragen mich Studenten, wie ist das gelaufen, wie kam man zum Rundfunk? Dann erzähle ich ihnen diese Geschichte. Sie klingt wie ein Märchen aus einer anderen Welt. Aber so war es.
Liegen die Wurzeln des jetzigen Festivals für Musik und Politik, das es nun seit über einem Jahrzehnt in Berlin gibt, im Festival des politischen Liedes …?
In gewissem Sinne ja. Einige Leute, die in der DDR mit Kultur in Radio, Fernsehen oder der Akademie der Künste zu tun hatten, haben nach der Wende nach einer Möglichkeit gesucht, Materialien zu retten. Vieles war mit Schließung des DDR-Rundfunks und der anderen Kultur-Institutionen gefährdet. Also gründeten wir einen Verein und trugen unter dessen Dach die Materialien zusammen. Und eben jener Verein Lied und soziale Bewegungen trägt heute auch das Festival Musik und Politik.
Das war aber weitsichtig angesichts der vorherrschenden Euphorie über die Maueröffnung …?
Wir ahnten, was kommen würde und waren der Meinung: Das, was sich an DDR-Kultur entwickelt hat, muss wenigstens dokumentiert werden.
Hat sich dieser Idealismus wider den Zeitgeist der Anschlusseuphorie gelohnt?
Wir haben Schätze in unserem Archiv, die hat kein anderer.
Schwerpunkt des diesjährigen Festivals wird Chile sein – 40 Jahre nach dem Militärputsch gegen die Volksfront Allendes und der Ermordung von Victor Jara. Bei Ihnen tritt die wohl bekannteste chilenische Gruppe auf, von Victor Jara 1967 gegründet. Die Musiker von Quilapayun lebten lange im Exil in Paris …
… wo sie immer noch sind, mit zwei Ausnahmen, die wohnen in Brüssel und Santiago de Chile. Als Gäste sind Romain Lecuyer und Alfonso Pacein dabei. Und: Wir haben mit Pascuala Ilabaca y Fauna tolle Vertreter der jungen Generation für das Konzert »Victor Jara presente« am 24.Februar gewonnen. Und dieses Motto stimmt: Das Erbe der Großen der chilenischen Musik lebt tatsächlich. Selbst die Jungen, die sonst nur Tanzmusik spielen, blicken auf ihre Tradition und haben schon mal einen Song von Victor Jara oder Violeta Parra im Programm.
Das läuft im Maxim-Gorki-Theater. Warum dort?
Ursprünglich wollten wir es in der Volksbühne machen – aus alter Tradition, weil wir schon öfter dort Konzerte veranstaltet haben. Die haben uns aber mitgeteilt, dass sie keine Veranstaltung mit lateinamerikanischen Künstlern in ihrem Haus haben wollen. Nun sind wir sehr froh, mit dem Maxim- Gorki-Theater einen verlässlichen Partner zu haben.
Das Interview erscheint in der Melodie&Rhythmus 1/2013, erhältlich ab dem 4. Januar 2013 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
Petra Schwarz, geboren 1957 in Erfurt, Kulturwissenschaftlerin, Hörfunk- und Fernsehjournalistin (Berliner Rundfunk, Jugendradio DT 64, SFB/RBB u.a.), Moderatorin, Mitglied der Jury der »Liederbestenliste«, die sie monatlich am letzten Freitag (13-14 Uhr) unter anderem auf www. rockradio.de präsentiert; Gründungsmitglied des Lied und soziale Bewegungen e.V., der seit mehr als zehn Jahren einmal jährlich das »Festival Musik und Politik« veranstaltet.
Programm »Festival Musik und Politik«
21. bis 24. Februar 2013, Berlin: Siehe unter Termine (S. 95 im Heft)
www.musikundpolitik.dewww.rockradio.de (UKW 98,4) bringt mit Blick auf das Festival am 16.2. eine Sondersendung von 16 bis 19 Uhr.