Melodie & Rhythmus

»Wenn ich einmal seufze«

11.06.2019 13:02
Hafen von Trabzon und Uzungöl-See, Pontisches Gebirge Fotos: Picture Alliance / Rainer Hackenberg, Martin Siepmann

Hafen von Trabzon und Uzungöl-See, Pontisches Gebirge
Fotos: Picture Alliance / Rainer Hackenberg, Martin Siepmann

Chiffren der Klassengewalt – Eindrücke einer Reise in den Nordosten der Türkei

Mesut Bayraktar

Im Sommer 2018 entschloss ich mich nach etwa sieben Jahren der Abwesenheit, mit meinen Eltern jene Hafenstadt wieder zu besuchen, an deren dunkler Küste das Schwarze Meer seine Wellen bricht und an die es einst meine Vorfahren hingespült hatte. Mit diesem Vorhaben wollte ich nicht nur meiner Mutter Freude bereiten. Auch wollte ich erfahren, ob die sozialen Kämpfe nach den Protesten am Gezi-Park 2013, die mir einen zweiten Blick auf mein Herkunftsland eröffnet hatten, die Region erreicht haben, von der ich nur zerrissene Bilder aus Kindheit und Jugend im Gedächtnis besaß. Als Heimatloser mit zwei Kulturen besuchte ich die Heimat meiner Eltern.

In Trabzon leben etwa 770.000 Menschen. Sie ist die größte Hafenstadt im östlichen Teil des Schwarzen Meeres. Ein schmales Industriegebiet zieht sich entlang der Hafenanlage in Richtung Rize, wo an der Schnellstraße an jedem fünften Lichtmast ein Transparent mit einem Porträt des selbstherrlich lächelnden türkischen Präsidenten hängt. Der Hafen ist der Motor der Stadt, ein Handelsplatz zwischen Vorderasien, dem Asowschen Meer und Europa. Die Güter, die von dort aus exportiert werden, kommen aus der umliegenden Landwirtschaft: Haselnüsse, Tabak und der berühmte Schwarztee. Dessen Anbaugebiet wurde 1986 von der radioaktiven Wolke der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl erfasst. Gleichwohl ignoriert die Politik diesen Missstand bis heute. Turgut Özal, Staatspräsident zwischen 1989 und 1993, sagte damals: »Radioaktiver Tee schmeckt noch besser, noch leckerer.« Ebenso sorglos wird er nach wie vor geschlürft. In der Bevölkerung ist eine Krebserkrankung bis heute das Damoklesschwert. Die medizinische Behandlung arbeitender Körper, meist vom Land stammend und im Laufe der Zeit proletarisiert, kommt entweder zu spät oder ist unbezahlbar. Um den Tod würfeln an der Schwarzmeerküste die Henker des Krebsgeschwürs.

Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2019, erhältlich ab dem 14. Juni 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

Ähnliche Artikel:

Anzeigen



TOP 10: April 2024

Liederbestenliste

Ältere M&R-Newsletter

Aus dem M&R-Archiv

Auf Ostfrontlinie gebracht
Nationalistische Parolen, Geschichtsklitterung, Hassexzesse, sogar Begeisterung für den totalen Krieg – einer wachsenden Zahl von Künstlern und Intellektuellen ist offenbar jedes Mittel recht, um sich der neuen Volksgemeinschaft gegen Russland anzudienen. weiterlesen

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Rudolstadtfestival 2023: Viva Cuba

Fotos von Katja Koschmieder und Jens Schulze weiterlesen

In eigener Sache

Stellenausschreibung
Die Verlag 8. Mai GmbH sucht eine Kulturredakteurin (m/w/d) für die Melodie & Rhythmus

*****************

Wenn die Kraft fehlt
Weshalb der Verlag 8. Mai das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus einstellt

Leider müssen wir heute eine schmerzliche Niederlage eingestehen: Das Magazin für Gegenkultur Melodie & Rhythmus (M&R) kann nicht weiter erscheinen. Das hat verschiedene Gründe, sie sind aber vor allem in unserer Schwäche und in der der Linken insgesamt zu sehen. weiterlesen

*****************

»Man hat sich im ›Grand Hotel Abgrund‹ eingerichtet«
Zum Niedergang des linken Kulturjournalismus – und was jetzt zu tun ist. Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl

Ausgerechnet vor einem heißen Herbst mit Antikriegs- und Sozialprotesten wird M&R auf Eis gelegt – ist das nicht ein besonders schlechter Zeitpunkt?
Ja, natürlich. … weiterlesen

logo-373x100

Facebookhttps://www.facebook.com/melodieundrhythmus20Twitter20rss

Jetzt abonnieren

flashback