Über Märkte, Konzentrationsprozesse, Besitzrechte, Geldverdienen und Popmusik
Text: Berthold Seliger
Barbecue bei einer amerikanischen Familie am Rand einer prosperierenden Universitätsstadt. Ganz selbstverständlich wird der Fremde nach seinem Verdienst, seinem Gehalt gefragt, und ganz selbstverständlich reden die Amerikaner über das, was sie verdienen. Es hilft den einen, ihren sozialen Status, ihr Selbstbewusstsein zu verfestigen – es hilft aber auch den anderen, gegebenenfalls mit ihren Chefs über ein höheres Gehalt zu verhandeln.
»Über Geld spricht man nicht.« Ein typischer deutscher Satz. Oder, in seiner Steigerungsform: »Über Geld spricht man nicht, man hat es.« Noblesse oblige also. Es gibt kaum einen westlichen Industriestaat, in dem die Bürger derart wenig und ungern über ihr Gehalt und ihren Besitz reden, wie Deutschland. Die Fotoserie im Wochenendmagazin der Berliner Zeitung etwa, »Was bin ich?«, was viele Antworten offen ließe, gemeint ist aber: Ausbildung, Beruf, Arbeitszeit, Urlaub, Familienstand, Gehalt Und bei letzterem fast die Standardantwort: »keine Angaben«. Spricht man auf Partys übers Geldverdienen, kommen allgemeine Statements wie »Ist schon o.k.« oder »Es reicht«.
Der protestantisch geprägte rheinische Kapitalismus mit dem Unternehmer als konstruiertes Vorbild, der ebenso wie der kleinste Arbeiter mit der Brotdose zur Arbeit geht, erfüllt seinen Zweck wie auch die Auf lagen vieler Firmen, dass das Gehalt geheim zu bleiben hat – wer die Gehälter seiner Kollegen nicht kennt, kann sich nicht ungerecht bezahlt fühlen, wird keine bessere Bezahlung verlangen. Wer nicht weiß, wem Deutschland gehört, der wird in diesen »vorrevolutionären Zeiten« (Alexander Kluge) nicht eins und eins zusammenzählen und Änderungen an den Besitzverhältnissen fordern.
Dabei sind es zweifelsohne Besitzverhältnisse, ist es das »Geld«, das Geschichte macht. Brecht beschreibt in seinen »Geschäften des Herrn Julius Caesar«, »wie der Diktator zwischen den Klassen pendelt und damit die Geschäfte einer Klasse führt«, Fritz Stern schreibt über »Bismarck und seinen Bankier Bleichröder«, und leider Vergangenheit ist eine Geschichtsschreibung von unten, wie sie Bernt Engelmann in den 70er Jahren gepf legt hat (»Das Reich zerfiel, die Reichen blieben«). Selbst der Nationalsozialismus wird heutzutage eher wie eine Art Krankheit, die über die Deutschen kam, behandelt (»Natürlich gab es diese zwölf verbrecherischen Jahre«, Thea Dorn, Co-Autorin von »Die deutsche Seele«), während kaum mehr von den Finanziers Hitlers und deren Interessen gesprochen und geschrieben wird.
»Über Geld spricht man nicht«? Lassen Sie uns also über Geld reden!
Da waren‘s nur noch drei
Seit 1954 gab die Commerzbank jährlich ein Nachschlagewerk unter dem Titel »Wer gehört zu wem« über die Beteiligungsverhältnisse großer Unternehmen in Deutschland heraus. Es wird so manches klarer, wenn man nachliest, welche Großkonzerne welche Beteiligungen erwerben und welche Interessen vertreten. Nun mag es dem Verbraucher bei Produkten wie Waschmitteln egal sein, ob »Persil«, »Somat« oder »Spee« vom gleichen Hersteller, nämlich dem Branchenführer Henkel, produziert werden – allerdings ist eines klar: Marktkonzentration lässt die Preise steigen, der Verbraucher zahlt – ein Prinzip der sogenannten Marktwirtschaft. Wie aber ist das, wenn es nicht um Waschmittel, Zahnpasta oder Unterwäsche geht, sondern um den Grundbestandteil einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft: die Kultur?
Das komplette Essay von Berthold Seliger lesen Sie in der melodie&rhythmus 1/2012, erhältlich ab dem 3. Januar 2012 am Kiosk oder im Abonnement.
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